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Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 5/1993

Ausgangslage

1990 beauftragte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Berlin die Arbeitsgemeinschaft IVU/FGS eine Studie zur ökologischen und stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz Verkehr zu erstellen. Ziel der Untersuchung war es, Belastungsgrenzen des Kfz Verkehrs auf innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen zu ermitteln. Hierzu wurde das gesamte Hauptstraßennetz der Berliner. Innenstadt (260 km) in den Feldern. "Straßenraum", "Sicherheit", Lärmbelastungen" und "Schadstoffbelastungen" analysiert und bewertet. Konnte die Arbeitsgemeinschaft bei Lärm und Luftschadstoffen Grenz- oder Richtwerte gültiger Verordnungen zugrundelegen, musste sie bei den Feldern "Straßenraum" und "Sicherheit" Neuland betreten.

Inhalt

Es wurden verschiedene Nutzungen von Straßen erfaßt und quantifiziert. Alarm und Orientierungswerte wurden zu sechs Bewertungskriterien definiert: Raumaufteilung, Breite Seitenraum, Fußgängerdichte, Wartezeit, Anzahl Bäume, Grünvolumen. So wurde die Straßenraumsituation als unverträglich gewertet, wenn der Fahrbahnbereich doppelt so breit ist wie beide Seitenräume (Verhältnis 2:1). Der Orientierungswert soll bei zukünftigen Planungen wieder an das Verhältnis 30:40:30 angelehnt werden.

Beim Kriterium "Breite Seitenraum" wurde die Nutzungs- und Aufenthaltsfunktion von Straßen behandelt. Die Seitenräume (Bereich zwischen Grundstückskante und Bordstein je Straßenseite) müssen bestimmte Mindestbreiten haben, um neben einer komfortablen Fortbewegung auch Verweil und Spielmöglichkeiten zu bieten. Die Mindestanforderungen wurden nach Straßentypen bzw. Dichte des Publikumsverkehrs unterschieden. In Hauptverkehrsstraßen mit normalem Wohncharakter sollen sich drei Personen begegnen, können. Für die Gehbahn sind 2,80 m erforderlich, zuzüglich eines seitlichen Schutzbereiches von 0,75 m und eines ausreichend großen Baumstreifens von 2,0 m ergibt sich eine Breite: von 5,55 m je Seitenraum. Wird diese Größe für eine Straßenseite unterschritten, soll dies als Alarmwert gelten. Im Hinblick auf eine höhere Attraktivität und Aufenthaltsqualität wird ein Orientierungswert von 6,50 in für Planungen zugrundegelegt.

Bei Geschäftsstraßen muß prinzipiell mit einer höheren Fußgängermenge und einer stärkeren Nutzungsintensität gerechnet werden. Hier soll die Begegnung von vier Personen möglich sein. Es ergibt sich so ein Alarmwert von 6,25 m Seitenraum. Ein Orientierungswert von 8,00 m wird vorgeschlagen, um dem Bedürfnis nach Aufenthalt, Verweilen und den Anforderungen von Geschäften Rechnung zu tragen.

Mit dem Kriterium "Fußgängerdichte“ wurde geprüft, ob die vorhandenen Seitenbereiche unterschiedlicher Straßentypen genügend Raum für die aufzunehmenden Fußgängermengen bieten. Der Alarmwert wurde von Oeding übernommen: 720 Fußgänger pro Stunde und Meter, ohne Zuschläge für ein Stehenbleiben. Der Orientierungswert von 310 Fußgängern pro Stunde und Meter soll eine komfortable Fortbewegung ermöglichen.

Fußgänger sollten in Hauptstraßen der Innenstadt prinzipiell die Möglichkeit zur freien Querung haben. Hierzu wurde das Kriterium der "Wartezeit" herangezogen. Der Alarmwert für zu lange Wartezeiten wurde auf 12 Sekunden Wartezeit bei freier Querung angesetzt, da in der Untersuchung relativ geringe Wartezeiten ermittelt wurden. Der Orientierungswert soll sechs Sekunden bei freier Querung betragen.

Bewertung

Mit diesem Bewertungsfeld soll der Anspruch einer gefahrlosen, angst- und konfliktfreien Nutzung von Hauptverkehrsstraßen thematisiert werden. Da Unfälle nur den negativen Extremfall der Unsicherheit widergeben, wurde das Bewertungsfeld um weitere sicherheitsrelevante Aspekte ergänzt: Unfallkostendichte, sichere Überquerung, V85%-Kennwert der Geschwindigkeit.

Die "Unfallkostendichte" wurde an den "Richtlinien zur Anlage von Straßen - Teil: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen (RAS- W)" ausgerichtet. Als Alarmwert wurden 1.600 TDM Unfallkosten je km angesetzt. Planungswert bzw. Zielvorgabe sollte eine Verminderung der Unfallkosten um 50 % sein.

Dem Kriterium "sichere Überquerung" wird eine auf Kinder und alte Menschen abgestimmte Gehgeschwindigkeit von 0,8 m/s zugrundegelegt, von der auch die Richtlinien für Lichtsignalanlagen ausgehen. Beim Orientierungswert wird argumentiert, daß die mittlere Zeitlücke im Fahrzeugstrom genauso groß sein soll wie die von Kindern und alten Menschen benötigte Querungszeit.

Beim Kriterium "Geschwindigkeit" wurden an verschiedenen Straßen Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt (jeweils 100 Messungen von frei bzw. unbehindert fahrenden Fahrzeugen, die das Geschwindigkeitsniveau einer Straße am besten wiedergeben). Als Orientierungswert wurde der V85%-Kennwert der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festgelegt.

Fazit zur Belastungssituation "Straßenraum " und "Sicherheit":

Legt man alle aufgezeigten Alarmwerte zugrunde, läßt sich eine negative Bewertung von Hauptverkehrsstraßen ablesen. Ausschlaggebend waren in der Untersuchung zu schmale Seitenräume, ungünstige Raumaufteilung, hohe Unfallkostendichten und nicht eingehaltene Höchstgeschwindigkeiten in Hauptverkehrsstraßen.

Die Studie ist in ihrem Umfang und ihren Ergebnissen bisher einzigartig in der Bundesrepublik Deutschland. Sie dokumentiert: Die Belastungen durch den Autoverkehr sind insbesondere durch Lärm und Abgase unerträglich. Darüber hinaus zeigt sie differenziert auf, welche Mängel für Fußgänger in Hauptverkehrsstraßen in den Bereichen Aufenthaltsqualität und Sicherheit auftreten. Die Studie formuliert somit einen klaren Handlungsauftrag an die Politik

 

Titel:

Studie zur ökologischen und stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr. Berlin 1993, 145 S., Tab., Anh., Lit.verz.

Bearbeitung:

IVU Gesellschaft für Informatik, Verkehrs und Umweltplanung; FGS Forschungsgruppe Stadt&Verkehr, Berlin

Herausgeber;

Senatsverwaltutig für Stadtentwicklung und Umweltschutz, 10958 Berlin

Bezug:

Kulturbuchverlag, Sprosseweg. 3, 12351 Berlin Neukölln, Preis: 1.2. DM plus Versandkosten

 

Impressum:

Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Mai 1993. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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