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Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 15/1997

Ausgangslage

Der Schulweg ist für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes von großer Bedeutung. Erleben und Lernen sind auf dem Schulweg eng miteinander verbunden. Nach dem Eintritt in die Schule bleibt der Schulweg einer der Freiräume, den das Kind braucht. Er ist deshalb mehr als ein Weg zwischen Zuhause und Schule. Er ist ein Erlebnis-, Lern- und Sozialisationsweg, auf dem das Kind seine motorische Beweglichkeit und Selbständigkeit ausbildet und Vertrauen in die eigene Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit gewinnt. Eine kindgerechte Verkehrsplanung muß daher die subjektive Sicht von Kindern und deren Anforderungen als Ausgangspunkt nehmen. Dies gilt auch bei Maßnahmen zur Schulwegsicherung, die häufig aus dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit entwickelt werden, sich jedoch nicht alleine auf Unfallauswertungen und das Urteil von Erwachsenen gründen sollten. Unfallanalysen alleine sagen nichts über die Ängste und die Unsicherheiten von Schülern auf ihren Wegen aus.

Erforderlich ist daher eine Erweiterung der Methodik. Dies wird mit vorliegender Broschüre geleistet. In ihr werden vom Soziologen Daniel Sauter in Form eines Leitfadens die Ziele, die Vorgehensweise und exemplarische Auswertungen von Schülerbefragungen dargestellt. Solche Schülerbefragungen dienen dazu, von den Kindern zu hören, wie sie ihre Wege zurücklegen, welche Stellen sie als gefährlich empfinden und wie sie ihre Wege erleben. Dies ist erforderlich, weil Kinder die Probleme oft anders sehen als Erwachsene und weil sie an Orten überfordert sein können, die Erwachsene als ungefährlich einstufen. Die Schülerbefragung wird dabei als Planungs- wie als Sensibilisierungsinstrument eingestuft.

Ein Vierteil aller Kinderunfälle in der Schweiz sind Unfälle auf dem Schulweg. Als Fußgänger sind v.a. Kinder bis zum Alter von 9 Jahren gefährdet, danach nehmen die Fahrradunfälle deutlich zu. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Kinder sich oft vorsichtiger als Autofahrer verhalten. Was als Unberechenbarkeit erscheint, ist häufig eine Überforderung aufgrund der verkehrlichen Situation (zu hohe Fahrgeschwindigkeiten, autobezogene Straßenraumgestaltung, fehlende Querungsmöglichkeiten).

Inhalt

Eine Schulwegsicherung besteht nach dem Leitfaden aus drei Phasen, die je nach möglichem Zeitaufwand variabel ausgestaltet werden können:

In der Vorbereitungsphase geht es um die Erstellung des Arbeitskonzeptes, das unter anderem folgende Punkte umfaßt: die Ziele, die Methoden, die verfügbare Zeit und das Geld, Stärken und Vorlieben der Beteiligten und die Festlegung auf die sinnvollsten Arbeiten. Daneben soll eine Einarbeitung in das Thema vorgenommen und mit der Öffentlichkeitsarbeit begonnen werden. Empfehlenswert ist die Kontaktaufnahme mit allen für die Schulwegsicherung relevanten Stellen und das Zusammenstellen verfügbarer Unterlagen.

In der Analysephase kann eine Unfallauswertung auf der Grundlage vorhandener Daten erste Anhaltspunkte geben. Vor allem sollte in dieser Phase jedoch eine Befragung von Schülern und Kindergartenkindern, als den ExpertInnen für Schulwege, durchgeführt werden.

In der Umsetzungsphase werden die auf verschiedenen Wegen gewonnenen Informationen miteinander verknüpft und gewichtet. Maßnahmen zur Schulwegsicherung werden auf ihre Eignung hin bewertet und aufgewählt. Danach soll eine Ergebnisdarstellung und Veröffentlichung der Ergebnisse vorgenommen werden. Dafür kommen verschiedene Formen in Frage: ein Kurzbericht von 5 - 10 Seiten, ein ausführlicherer Ergebnisbericht, eine Ausstellung, etwa von Schülerbildern, Informations- und Diskussionsabende, eine Pressekonferenz. Bei der Umsetzung der entwickelten Maßnahmen sollen gegebenenfalls PlanerInnen einbezogen werden. Dieser langwierigste Arbeitsschritt verlangt Ausdauer und ein beharrliches Herantreten an politische Gremien der Gemeinde.

Für die Durchführung und Auswertung einer Schülerbefragung wird inklusive eines kleinen Berichts mit einem Zeitaufwand von rund 130 Stunden gerechnet. Am Anfang müssen Unterlagen über die Schulklassen sowie Ortspläne beschafft und die Schul- und Gemeindebehörden sowie die Lehrer kontaktiert werden. Als Fragebogen kann auf einen in der Broschüre enthaltenen (kopierfähigen) Musterfragebogen zurückgegriffen werden. Für Kindergartenkinder werden die Bögen vom Kindergarten an die Eltern geschickt, die die Fragen mit den Kindern durchgehen. In der ersten und zweiten Klasse wird der Bogen in der Schule ausgefüllt und z.T. zu Hause von den Eltern fertiggestellt. Ab der dritten Klasse wird er in der Schule ausgefüllt.

Die Befragung bietet Kindern die Möglichkeit, ergänzende Bilder zu malen, um so Bewertungen des Wegeumfeldes darzustellen. In offenen Fragen können die Kinder begründen, warum sie bestimmte Stellen gefährlich finden. Auf einer beizufügenden Karte sollen die Kinder ihre Schulwege einzeichnen. Gefragt wird danach, ob die Kinder von Erwachsenen begleitet werden, ob sie mit Mitschülern gehen, ob die den Schulweg anders als zu Fuß zurücklegen, ob sie ab und zu einen anderen Weg wählen, wo Gefahrenstellen liegen, was ihnen am Schulweg gefällt und wo die liebsten Spielorte liegen.

Die Auswertung kann sich, nach Altersgruppen oder Schulen differenziert, auf die Anzahl und die Orte von Gefahrenstellen beziehen, Gefahrengründe eruieren und das Erleben der Schulwege und ihres Umfeldes aufzeigen. So zeigte sich in den durchgeführten Befragungen, daß alle Schüler im Mittel auf ihren Wegen eine Gefahrenstelle überqueren müssen. Einige Stellen in der untersuchten Gemeinde nahmen mehr als 50 Prozent der Schüler als gefährlich wahr. Auf Schulwegen mit Gefahrenstellen wurden Kinder überdurchschnittlich häufig von Älteren begleitet. Kinder, die regelmäßig von einem Elternteil begleitet werden, gehen dabei seltener mit anderen Kindern. Wenn Kinder allein gehen, v.a. aber wenn sie mit Mitschülern gehen, gehen sie immer wieder einmal einen anderen Weg, was auf das Bedürfnis nach Abwechslung und nach einem Kennenlernen neuer Umgebungen hinweist. Für Planer bedeutet dies, auch Schulwege eher als Netze denn als einzelne Strecken zu behandeln.

Bewertung

Der vorgeschlagene, gegenüber der traditionellen Schulwegsicherung erweiterte methodische Ansatz verhindert, daß Maßnahmen ausschließlich aus der Problemwahrnehmung der Erwachsenen entwickelt werden; Erwachsene werden mit Hilfe der Schülerbefragungen vielmehr selbst für die Sicht der Kinder sensibilisiert. Die Broschüre ist gut geschrieben, mit Fotos attraktiv gestaltet und als Leitfaden nützlich: Es finden sich darin Beispiele für Auswertungsblätter und die graphische Darstellung von Ergebnissen, eine Checkliste zur Durchführung der Befragung, die Kurz- und Langfassung eines Muster-Fragebogens, ein Muster-Informationsblatt für LehrerInnen und ein Beispielbrief an Eltern sowie (schweizer) Adressen zum Thema. Die den Leitfaden herausgebende Arbeitsgemeinschaft Recht für Fussgänger (ARF) bietet zudem an, weiterzuhelfen, wenn bei der Durchführung und Auswertung einer Schülerbefragung Schwierigkeiten auftreten.

 

Titel:

"... weil die Autos so flitzen." Zusammen mit Kindern den Schulweg sichern. Ein Leitfaden zur Befragung von Schülerinnen und Schülern. Autor: Daniel Sauter. Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft Recht für Fussgänger, ARF, (=ARF-Schrift Nr. 15), Zürich 1997, 80 Seiten. ISBN 3-9520290-1-7

Bezug:

ARF, Klosbachstrasse 48, CH-8032 Zürich, Tel. 0041/1/383 62 40; Fax. 0041/1/383 97 88. Preis: 28 CHF.

 

Impressum:

Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Dezember 1997. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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