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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 33/2002

Ausgangslage

Ein Mangel vieler Verkehrsbefragungen besteht in der ungenügenden Erfassung von Wegen, die zu Fuss zurückgelegt werden. In Deutschland werden im Falle von Verkehrsmittelkombinationen entlang eines Weges üblicherweise nur die sogenannten „Hauptverkehrsmittel“ erhoben bzw. ausgewertet. Dadurch werden alle Zu- und Abgangswege in Verbindung mit der Pkw- und ÖV-Nutzung sowie Zwischenwege beim Umstieg von einem öffentlichen Verkehrsmittel auf ein anderes ignoriert. Dieser Mangel war 1994 der Anlass, in der grossen Schweizer Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten – dem Mikrozensus Verkehr – das sogenannte „Etappenkonzept“ umzusetzen. Die vorliegenden Ergebnisse der letzten landesweiten Befragung von 29.407 Personen aus dem Jahr 2000 liefern eine beeindruckende Fülle von Detailinformationen zum Fussverkehr.

Inhalt

Die kleinste Analyseeinheit des Mikrozensus Verkehr stellen Etappen dar. Bei jedem Wechsel eines Verkehrsmittels entlang eines Wegs beginnt eine neue (Weg-)Etappe (nicht zu verwechseln mit einer Wegekette, die aus einer Verknüpfung mehrerer Wegzwecke während eines Ausgangs entsteht). Solche Etappen wurden ab einer Entfernung von 25 m erfasst.

19,4% aller insgesamt erhobenen 102.867 Wege bestehen aus zwei oder mehr Etappen, sind also in diesem Sinne intermodal zurückgelegt worden. Die häufigsten Verkehrsmittelkombinationen umfassen zu Fuß und Auto (9,5% aller Wege) sowie zu Fuß und ÖV (8,5% aller Wege). Im Durchschnitt wurden pro Person ab 6 Jahren (Nicht-Mobile eingeschlossen) pro mittlerem Tag 3,6 Wege und 5,0 Etappen zurückgelegt. D.h. ein Weg besteht im Mittel aus rund 1,4 Etappen. Berechnet man den Anteil der Verkehrsmittel auf Basis der Etappen, ergibt sich ein für deutsche Verhältnisse ungewohntes Bild: 40,1% aller Etappen wurden im Jahr 2000 zu Fuß, 6,0% mit dem Fahrrad, 30,2% mit dem Auto als Fahrer, 9,3% mit dem Auto als Mitfahrer, 10,3% mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt (bei einem Bezug nur auf Hauptverkehrsmittel läge der ÖV-Anteil höher).

Die Anteile der zu Fuß zurückgelegten Etappen variieren nach Wegzwecken. Am höchsten ist ihr Anteil beim Zweck Ausbildung (55%), gefolgt von Einkauf (45%), Freizeit (42%), Arbeit (33%), private Service- und Begleitwege (24%), geschäftliche Tätigkeit (23%).

Die Zeit, die für Etappen zu Fuß verwendet wird, liegt mit 28,9 Minuten pro Person (inkl. Nicht-Mobile) und mittlerem Wochentag höher als die Zeit im Pkw als Fahrer (25,8 Min.), im Pkw als Mitfahrer (9,5 Min.) und im ÖV (9,7 Min.). Die tägliche Wegzeit betrug insgesamt 84,5 Minuten pro Person und Tag. Am Sonntag ist die Zeit zu Fuß mit 34,1 Min. am höchsten.

Auch die jährlichen Personenkilometer zu Fuss haben eine nennenswerte Größenordnung, wenn Wege-Etappen erhoben werden: Es waren in der Schweiz im Jahr 2000 634 km pro Person und Jahr (gegenüber 366 km in Deutschland bei Bezug auf Hauptverkehrsmittel). Dies sind in der Schweiz 4,3% der durchschnittlich pro Person und Jahr zurückgelegten 14.783 km (ohne Flüge). Zu Fuß werden pro mittlerem Wochentag von SchweizerInnen (inkl. Immobile) 1,7 km zurückgelegt (insgesamt 37,1 km pro Tag). In Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen (bis 2.000 Franken Haushaltseinkommen), bei Kindern und Jugendlichen, Senioren ab 66 Jahren sowie bei Personen ohne verfügbaren Pkw haben Zufußgehen und Fahrradfahren mit 9% des täglichen Kilometeraufwands einen überdurchschnittlich hohen Anteil.

Die Durchschnittsgeschwindigkeit zu Fuß liegt bei 4,2 km/h.

Zwei Drittel der Fußwegetappen reichen über 500 m nicht hinaus. Fußwegetappen in Kombination mit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind zu 57% kürzer als 300 m, 19% liegen zwischen 300 und 500 m, 16% zwischen 500 und 1000 m, der Rest reicht darüber hinaus.

Im Raum Zürich und im Raum Basel werden rund 50% aller Wegetappen nicht-motorisiert zurückgelegt, im Tessin und am Genfer See sind es unter 40%. In den fünf größten Städten des Landes entfallen 50% der Wegetappen mit Zweck Arbeit und 55% der Etappen mit Zweck Freizeit auf das Zufußgehen und Radfahren.

Bewertung

Das Wegetappenkonzept bietet einen neuen, realistischeren Blick auf die Mobilität der Menschen. Es kommt dadurch die hohe Bedeutung des Zufußgehens eindrucksvoll zum Vorschein. Die Analysen lassen vermuten, dass der Fußverkehr in Deutschland, gemessen an den Personenkilometern, um das 1,5 bis 1,7fache unterschätzt wird. Umso erstaunlicher ist es, dass auch das aktuelle KONTIV-Design das Etappenkonzept nicht anwendet, sondern weiterhin nur mit Hauptverkehrsmitteln arbeitet. Die Schweizer Veröffentlichungen zum Mikrozensus zeichnen sich durch eine sehr gute Verfügbarkeit (Online-Download), eine grafisch sehr ansprechende Gestaltung, ausführliche Textinterpretationen und eine umfangreiche Tabellierung von Detailergebnissen aus.

 

Titel:

Mobilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus 2000 zum Verkehrsverhalten. Bern 2001, 96 Seiten (Ergebnisbericht)

Verfasser:

Bundesamt für Statistik, Bundesamt für Raumentwicklung (Hrsg.)

Bezug:

Download von Textband, Erläuterungsbericht, Tabellenband unter: www.are.admin.ch, Papierversion: BBL, CH-3003 Bern, Best.Nr. 812.010d, Preis: 14 CH

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Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Dezember 2002. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.