Foto: Cody Lannom, Unsplash

Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 35/2003

Ausgangslage

Ältere Menschen legen im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen - noch - einen grösseren Teil ihrer Wege zu Fuss zurück. Angesichts des zunehmenden Anteils älterer Menschen in der Bevölkerung stellt sich die Frage, wie ein seniorengerechtes Verkehrs- und Siedlungssystem aussehen sollte. Eine Voraussetzung zur Beantwortung dieser wichtigen Frage ist die Kenntnis der Ansprüche von Senioren an dieses System und ihres Verkehrsverhaltens. In dem besprochenen Sammelband wird dieses Thema mit insgesamt 18 Beiträgen interdisziplinär behandelt.

Inhalt

Nur ein Teil der Beiträge geht auf die Mobilität älterer Menschen zu Fuß ein.

Zu den Rahmenbedingungen des Verhaltens zählen folgende Aspekte: Die Pkw-Verfügbarkeit ist bei Senioren unterdurchschnittlich, aber schon recht hoch: rund 64% der Personen ab 60 Jahren hatten 1999 einen Pkw verfügbar. Es findet eine Dezentralisierung von Dienstleistungseinrichtungen statt, die Verschlechterungen für Senioren in schlecht versorgten Gebieten haben wird, was auch tendenziell die Möglichkeiten für Wege zu Fuß verringert. Viele Einrichtungen werden zudem größer und sind damit auf einen größeren Einzugsbereich angewiesen, was die Weglängen erhöht (Schönharting). Die Gefahr der Unterversorgung besteht vor allem in ländlichen Regionen und hier vor allem in Ostdeutschland (Mollenkopf/Oswald), wo heute schon Schwierigkeiten bestehen, Einrichtungen zu Fuß zu erreichen.

Quantitativ bedeutsam ist in Zukunft die Zunahme der älteren Menschen in suburbanen Räumen im Umland der Kernstädte. Auf der städtischen Ebene werden „Seniorenquartiere“ zunehmend in den meist gemeinnützigen Wohnsiedlungen der Wiederaufbauphase und später in den Grosswohngebieten und Einfamilienhausgebieten am Stadtrand entstehen (Friedrich).

Verkehrsverhalten: Insgesamt liegen bei Senioren die Anzahl Wege pro Person, die Reisezeitdauer sowie vor allem die tägliche Wegstrecke deutlich unter den Werten jüngerer Erwachsener: ab 60 Jahren liegt die tägliche Wegstrecke bei rund 27 km pro Tag, bei den 18-35jährigen bei nahezu 54 km (Schönharting). Senioren haben aber eine mit anderen nicht-berufstätigen Bevölkerungsgruppen vergleichbare Intensität von Aussenaktivitäten (Friedrich). Dies bedeutet, sie sind mobil, soweit sie körperlich-geistig dazu in der Lage sind, ihre Mobilität sieht aber anders als jene von jüngeren Personen aus.

Zum Beispiel ist die Fahrleistung mit Pkw deutlich niedriger als bei Jüngeren; die Mobilität ist insgesamt stärker auf nähere Ziele ausgerichtet. In Quartieren mit guter Einzelhandelsausstattung führen RentnerInnen häufigere und vor allem kleinere Einkäufe zu Fuß durch (Holz-Rau). Weniger stark ist der „Quartiereffekt“ beim Freizeitverhalten. Dieses ist maßgeblich von der sozio-ökonomischen Lebenssituation beeinflusst, wobei gilt: wer besser da steht, ist in der Freizeit aktiver und geht häufiger in Urlaub.

Subjektive Bewertungen: Die These, dass einschränkende Nutzungsbarrieren im öffentlichen Raum den Aktionsraum älterer Menschen verkleinern und so ihre soziale Integration erschweren, gilt nach Friedrich in dieser Schärfe nicht. Senioren haben - vor allem in städtischen Räumen - eher die Befürchtung Opfer krimineller Gewalt zu werden. Ihre Wohnquartiere schätzen Senioren überwiegend - am wenigsten noch in Mittelstädten - als fußgängerfreundlich ein (Flade/Hacke). Auch in ländlichen Räumen ist eine überraschend hohe Zufriedenheit mit den Mobilitätsmöglichkeiten festzustellen (Mollenkopf/Oswald), insbesondere wenn Senioren mit ihren Freizeitaktivitäten zufrieden sind. Festgestellt wird auch, dass Experteneinschätzungen häufig nicht mit dem von Senioren artikulierten Bedarf überein stimmen. Dies deutet darauf hin, dass man noch nicht genug über die Ansprüche von Senioren weiss.

Unfallsituation: Im Hinblick auf Verkehrsunfälle stellen die älteren Senioren ab 75 Jahren eine Problemgruppe dar. Die jungen Senioren tragen ein vergleichsweise geringes Gesamtunfallrisiko, das seit 1970 zudem zurückgegangen ist. Hervorzuheben ist, dass 78 % der Fußgängerunfälle im Seniorenalter von Kraftfahrern verursacht wurden.

Empfehlungen: Erforderlich ist eine Verlangsamung und Vereinfachung des Verkehrs, denn ältere Menschen sind generell nicht weniger leistungsfähig, aber langsamer als Jüngere. Wegen der hohen Bedeutung von Freizeitaktivitäten ist der Aussenraum in der Planung stärker als bisher zu berücksichtigen, auch durch Schaffung angstfreier Aussenräume. Eine gute Nahversorgung (Nachbarschaftsläden) muss gewährleistet bleiben. Die Verkehrsumwelt muss so umgestaltet werden, dass auch ältere Senioren in ihren Quartieren mobil sein können. Dazu haben Draeger/Klöckner umfassende Planungsmassnahmen für Verbesserungen im Fussverkehr vorgelegt, deren Realisierung gleichzeitig auch die Infrastrukturqualität für Personen aus anderen Altersgruppen verbessert.

Bewertung

Die Beiträge spannen einen Bogen von strukturellen Bedingungen über das Verhalten bis hin zu subjektiven Einschätzungen von älteren Menschen. Sie bieten dadurch einen recht umfassenden Blick auf die Mobilität dieser Bevölkerungsgruppe. Mit Ausnahme des Beitrags von Draeger/Klöckner sind die Beiträge nicht direkt maßnahmenorientiert, sondern liefern Grundlagen für planerisches Handeln. Einige Beiträge gründen sich auf Forschungsprojekte und stellen Ergebnisse der dabei durchgeführten Befragungen vor. Andere greifen auf vorhandenes statistisches Datenmaterial zurück, wobei allerdings nicht immer aktuelle Datengrundlagen verwendet werden.

 

Titel:

Mobilität älterer Menschen. Opladen: Leske + Budrich 2001, 286 S.

Herausgeber:

Antje Flade, Maria Limbourg, Bernhard Schlag

Bezug:

im Buchhandel, ISBN 3-8100-3124-0, 25.50 Euro

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Juli 2003. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.