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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 65/2010

Ausgangslage

Die Schweizer Verkehrspolitik gilt in Deutschland in Bezug auf den öffentlichen seit langem als vorbildlich. Welche Unterschiede zwischen diesen beiden Ländern im Hinblick auf die Fußverkehrsplanung bestehen, hat Beatrice Gladow im Rahmen einer Diplomarbeit im Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen der TU Berlin untersucht. Sie konnte dabei u.a. auf Erfahrungen zurückgreifen, die Sie als Praktikantin beim Fachverband Fussverkehr Schweiz gesammelt hat. Gegenstand der Arbeit ist die Verkehrspolitik in beiden Ländern zwischen 2000 bis 2009, wobei ein besonderes Gewicht auf die Ebene der städtischen Planung gelegt wird. Die zentrale Frage lautet denn auch, wie der Fußverkehr in Deutschland und der Schweiz aus stadtplanerischer Sicht dauerhaft gestärkt werden kann.

Inhalt

Rahmenbedingungen: In der Schweiz hat das Auto in der Bevölkerung eine ähnlich hohe symbolische Bedeutung wie in Deutschland. Unterschiede treten aber bei der Institutionalisierung der Planungsaufgaben zu Tage: In der Schweiz kümmern sich nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Kantone um die Planung des Fußverkehrs. Das Eidgenössische Gesetz (Bundesgesetz) über die Fuss- und Wanderwege (FWG) bezieht sich auf die Wanderwege außerhalb und die Fußwege innerhalb der Siedlungen. Es überträgt den Kantonen die Aufgabe der Anlage, Erhaltung und Kennzeichnung der in Plänen festzuhaltenden Fuß- und Wanderwege, inklusive der landesweit einheitlichen Signalisation.

Das zuständige Bundesamt für Strassen übernimmt die Aufsicht und Koordination dieses FWG. Diese gesetzliche Grundlage sichert diesem Bundesamt einen Budgetposten für den Fuß- und Radverkehr und ermöglicht ihm auch, einen größeren Einfluss auf die Planung auszuüben als dies das deutsche Bundesverkehrsministerium vermag. Der Fuß- und Veloverkehr („Langsamverkehr“) wird in der Schweizer Politik als „dritte Säule“ des Personenverkehrs neben dem ÖV und dem MIV wahrgenommen.

Während dem Radverkehr in Deutschland von der Politik mehr Bedeutung beigemessen wird, werden beide nicht-motorisierten Verkehrsmittel in der Schweiz als gleichrangig eingestuft. Schweizer Parlamentarier auf Bundesebene setzen sich seit über zehn Jahren für diese Verkehrsmittel ein. Die Finanzierung von Maßnahmen wird in der Schweiz durch die vergleichsweise gute finanzielle Lage von Gemeinden und Kantonen erleichtert. Die Stadt Bern mit 130.000 Einwohnern stellt z.B. rund 3 Millionen Euro pro Jahr für den Fuß- und Radverkehr zur Verfügung. Zudem können Bundesmittel im Rahmen von verkehrsträgerübergreifenden Agglomerationsprogrammen Verkehr und Siedlung beantragt werden.

Umsetzung der kommunalen Planung: Eine Umfrage bei Gemeinden zeigt, dass die Unterschiede zwischen den Gemeinden eines Landes größer als die Unterschiede zwischen den Ländern sind. In der Praxis der Fußverkehrsplanung unterscheiden sich die beiden Ländern nicht groß. Schweizer Gemeinden betrachten die Planung etwas häufiger aus gesamtstädtischer Ebene (evtl. aber eine Folge der Ortsgröße); auch greifen sie etwas häufiger auf behördenverbindliche Planwerke zurück und profitieren von einem etwas fortschrittlicheren Bewusstsein von Entscheidungsträgern.

Beispiele aus der kommunalen Praxis: Der Handlungsspielraum von Gemeinden wird anhand von sieben guten Beispielen aus den beiden Ländern aufgezeigt (u.a. Schweizer Begegnungszonen).

Empfehlungen: In Deutschland soll die Fußverkehrsplanung nach Ansicht der Autorin vor allem auf Bundes- und Landesebene, unter anderem mit einem Nationalen Fußverkehrsplan, gestärkt werden. Sie sieht den politischen und gesellschaftlichen Rückhalt als entscheidenden Erfolgsfaktor bei der Förderung des Fußverkehrs an. In Gemeinden sollen Fußverkehrsbeauftragte als Bindeglied zur Bevölkerung fungieren. In Lehre und Weiterbildung soll die Fußverkehrsplanung deutlich stärker ausgebaut werden. Fußwegekonzepte auf Basis von Qualitätsbewertungen sollen als Instrument einer effizienten Planung zu einem Standard werden. Bei städtebaulichen Planungen soll die Fußverkehrsfreundlichkeit systematisch abgeschätzt werden. Begegnungszonen, von denen es in Schweizer Gemeinden schon über 400 gibt, sollen auch in das deutsche Strassenverkehrsrecht übernommen werden.

Bewertung

Der Unterschied zwischen den beiden Ländern wird differenziert herausgearbeitet. Die Darstellung von vergleichsweise fortschrittlicheren Ansätzen in der Schweiz zeigt, in welche Richtung Politik und Planung in Deutschland gehen könnten. Die Empfehlungen der Autorin zu wichtigen Aktivitäten in diesem Bereich sind schlüssig und stellen einen nützlichen Beitrag für die weitere verkehrspolitische Diskussion dar.

Titel:

Im Zeichen nachhaltiger Stadtentwicklung – mehr Raum für Fussgänger. Fussverkehrsplanung und deren Umsetzung im Ländervergleich Bundesrepublik Deutschland – Schweiz. Diplomarbeit, Sept. 2009, Berlin: TU Berlin

Verfasser:

Beatrice Gladow

Bezug:

Als PDF bei der Autorin: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2010. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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