Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 43/2005
Ausgangslage
Die gebaute Umwelt muss für alle Menschen nutzbar sein. Im öffentlichen Raum dürfen Nutzerinnen und Nutzer nicht ausgegrenzt, in ihrer Mobilität beeinträchtigt oder in ihrer Sicherheit und Selbständigkeit eingeschränkt werden. Diskriminierungen durch bauliche Barrieren oder Hindernisse müssen vermieden oder beseitigt werden. Diese Grundsätze stützen sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die sich daraus ergebenden Anforderungen an behindertengerechte Fußwegenetze sind in einer Richtlinie der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen zusammen gestellt worden, die als Planungshilfe sowie als Grundlage für Normen und gesetzliche Regelungen (in der Schweiz) dienen soll.
Inhalt
Die Broschüre gliedert sich in die baulichen Anforderungen sowie die Grundlagen der Planung. Ergänzt wird dies um einen knappen Anhang zu wichtigen Hilfsmitteln und Orientierungstechniken von Mobilitätsbehinderten.
Die Anforderungen werden im Sinne des Grundsatzes „Design für alle“ formuliert: Die Gestaltung der Fußwegenetze soll allen Nutzergruppen Rechnung tragen. Zusätzliche oder spezielle Maßnahmen für behinderte Menschen werden nur dort verlangt, wo sie aus funktionalen Gründen oder für die Sicherheit im Verkehr (Ampelzusatzgeräte) notwendig sind. Bei den baulichen Anforderungen werden neben den auch in anderen Empfehlungen schon häufiger behandelten Themen der Wegbreite, Belagsgestaltung und Anlage von Fußgängerüberwegen spezifische Aspekte behandelt: z.B. Geländer, Abschrankungen, Baustellensicherung, Informations- und Orientierungssysteme, Leitliniensysteme und der Einsatz der Beleuchtung zur Unterstützung der Orientierung.
Geländer/Abschrankungen: Absturzhöhen über 20 cm sind abzusichern oder taktil und visuell (z.B. Belagswechsel) erkennbar zu machen. Absturzhöhen über 40 cm sind durch Geländer oder Abschrankungen zu sichern. Dabei ist die Tastbarkeit mit dem weißen Stock durch eine Traverse maximal 30 cm über Boden oder einen durchlaufenden, mindestens 3 cm hohen Sockel zu gewährleisten. Auch offene Bachläufe und Wasserflächen sind entsprechend abzusichern, durch Helligkeitskontrast soll der Randstein von der Wasserfläche und dem angrenzenden Bodenbelag hervorgehoben werden. Schranken und Schikanen sind möglichst zu vermeiden. Auf jeden Fall sind Durchfahrbreiten von mind. 170 cm (mit Scooter oder E-Rollstuhl), die Tastbarkeit sowie die Farbmarkierung an Durchgangsschranken zu garantieren. Baustellen und -gruben sind lückenlos mit Latten, Holzwänden oder Drahtgittern abzuschranken, die Absperrelemente müssen tastbar sein (in 30 cm und 90 cm Höhe). Mulden sind wegen ihrer auskragenden Form innerhalb der Abschrankung aufzustellen.
Kreisverkehre: Sicherheit und Orientierung sehbehinderter Personen sind bei Übergängen am Kreisel nicht gewährleistet, weshalb hier grundsätzlich ampelgeregelte Kreuzungen vorzuziehen sind. Wird trotzdem ein Kreisel eingesetzt, soll die Überquerung der Fahrbahn im Abstand von mind. 5 m mit Mittelinsel gesichert, das Auffinden des Fußgängerüberwegs durch feste Abschrankungen zur Fahrbahn oder durch Leitlinien ermöglicht und zusätzlich eine taktile Hinführung durch Leitlinien eingerichtet werden.
Informations- und Leitsysteme: Wichtige Informationen sind nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ akustisch wie auch visuell anzuzeigen (z.B. Liniennummern und -richtungen auch akustisch). Taktile Beschriftungen sind z.B. an Handläufen anzubringen, an Bahnhöfen und in Parkanlagen werden Reliefpläne für Sehbehinderte empfohlen. Die gestalterischen Elemente sind so einzusetzen, dass sie blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen, sich an einer zusammenhängenden Informationskette zu orientieren. Wichtige Wegverbindungen und Zugänge zu öffentlichen Gebäuden sind visuell und taktil von der übrigen Fläche abzuheben. Die Gestaltung soll einheitlich nach dem „Leitliniensystem Schweiz“ ausgeführt werden, das Standards für Richtungsanzeige, Abzweigungen, Richtungsänderungen und Aufmerksamkeitsfelder (z.B. an Haltestellen) definiert.
Im Kapitel „Grundlagen“ werden Angaben zum Platzbedarf und zu Manövrierflächen von Fahrhilfen gemacht, es werden die Anforderungen an Bedienungselemente (Tastaturen, Automaten) aufgeführt, Standards für Schriftzeichen, Schriftgrößen, taktile Schriften, Reliefschriften und Brailleschriften (Punktschriften), für den Helligkeits- und Farbkontrast sowie Markierungen festgelegt. Licht soll als Orientierungselement eingesetzt werden, z.B. mittels Lichtinseln an Wegkreuzungen und Haltestellen oder mit gezielter Beleuchtung zur plastischen Hervorhebung von Absätzen und Kanten. Ein Schutz vor direkter Beleuchtung und vor indirekter Blendung ist zu gewährleisten.
Bewertung
Die Richtlinien bieten einen umfassenden, komprimierten Überblick der wesentlichen Anforderungen an die Gestaltung von Wegen, Plätzen, Haltestellen, Baustellen, Informations-, Orientierungs- und Leitsysteme, Treppen sowie Liften. Knappe Texte zu jedem Gestaltungsaspekt werden durch aussagekräftige Skizzen ergänzt. Die Richtlinien werden so zu einer äußerst nützlichen Planungshilfe.
Titel:
Richtlinien „Behindertengerechte Fusswegnetze“, 30 Seiten, Zürich 2003
Verfasser:
Eva Schmidt, Joe A. Manser
Bezug:
kostenlos bei der Herausgeberin: Schweizerische Fachstelle für behindertengerechtes Bauen, Kernstrasse 57, CH-8004 Zürich, Tel. 0041 44 299 97 97, e-Mail:
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Dezember 2004. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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