Foto: Cody Lannom, Unsplash

Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 78/2013

Ausgangslage

Victoria Walks ist eine Organisation im australischen Bundesstaat Victoria, die das Zufußgehen aus Gesundheitsgründen unterstützt und dafür öffentliche Mittel erhält. In ihrem Auftrag hat Jan Garrard eine Studie zur Mobilität von Senioren zu Fuß erstellt. Anlass dafür war die Erkenntnis der bisherigen Gesundheitsforschung, wonach die moderate Bewegung zu Fuß gerade für Senioren besonders wichtig ist, weil andere Arten der körperlichen Bewegung in dieser Altersgruppe seltener werden. Zudem ist das Zufußgehen für Senioren ein wichtiges Mittel, um den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden zu verbessern, die persönliche Mobilität sicherzustellen und soziale Bezie-hungen aufrecht zu erhalten. Fördermaßnahmen, die dem Erreichen dieser Ziele dienen, sollten allerdings altersgerecht und räumlich spezifisch ausgerichtet sein. Die Studie will das dafür notwendige Wissen bereitstellen.

Inhalt

Die Untersuchung stellt Ergebnisse der Forschung zu hemmenden und fördernden Einflussfaktoren auf die Mobilität von Senioren vor. Sie präsentiert Ergebnisse von Fokus-Gruppen-Diskussionen mit 32 Senioren sowie einer eigenen quantitativen Befragung von 1.128 Senioren. Auf dieser Basis werden in einem zehnseitigen Kapitel strategische Schlussfolgerungen gezogen und Maßnahmenempfehlungen gegeben.

Aus Befunden der umfangreich ausgewerteten Forschung wird gefolgert, dass ein Rückgang des Gehens in höherem Alter weniger mit einer Abnahme der Lust am Gehen, sondern eher mit diversen Barrieren zu tun habe, die im Alter besonders einschränkend wirken. In der Forschung werde bislang aber noch wenig verstanden, welche Faktoren genau das Gehen von Senioren behindern oder fördern.

Die Diskussionen in den Fokus-Gruppen zeigen eindrucksvoll, dass Senioren dem Gehen - auch im Vergleich zu jüngeren Menschen - einen sehr hohen Stellenwert als Element einer eigenständigen Lebensführung im Alter beimessen. Es besteht der Wunsch, möglichst lange aus eigener Kraft mobil sein zu können.

Die diversen Barrieren, wie z.B. stark befahrene Straßen, Beeinträchtigungen durch Radfahrer auf gemeinsamen Wegen, Regen oder schlechte Beleuchtung, führen nach Auskunft von geübten Zufußgehenden nicht automatisch zu einer Abnahme der Gehhäufigkeit. Sie haben vielfältige An-passungsstrategien zur Folge: z.B. Umwege, ein defensives Verhalten im Straßenraum oder die Wahl der Zeiten des Gehens in Abhängigkeit von den Beleuchtungsverhältnissen. Ein für Senioren sehr wichtiger Sicherheitsaspekt ist die Angst zu stürzen. Dem Zustand des Belags sowie der Beleuchtung der Wege messen sie deshalb eine hohe Priorität bei. Den Gehkomfort schränken Kreis-verkehre (wegen der verlängerten Wegstrecke), aber auch schnelle Fahrradfahrende auf gemeinsam genutzten Wegen sowie nicht angeleinte Hunde ein.

Die Ergebnisse der Befragung weisen darauf hin, dass eine Palette vielfältiger, oft auch kleinerer Verbesserungsmaßnahmen erforderlich ist. Neben den im engeren Sinne verkehrstechnischen Faktoren (inklusive Bodenbelag und Beleuchtung) wird von Senioren auch der Sensibilisierung von Autofahrenden und Radfahrenden eine hohe Bedeutung beigemessen.

Für die meisten Senioren ist eine eigenständige Mobilität so wichtig, dass sie nicht extra motiviert werden müssen, zu Fuß zu gehen. Bei den Empfehlungen tritt deshalb das Schaffen von se-niorengerechten Umfeldbedingungen in den Vordergrund. Dabei sollen jene Aspekte beachtet werden, die Senioren wichtiger als anderen Altersgruppen sind: die Gestaltung und der Unterhalt der Wegeinfrastruktur, auch mit dem Ziel, Stürze zu vermeiden; ein rücksichtsvolles Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmenden (mit Autos, Rädern, Hunden); die Ästhetik der Wegführung; Sitz- und Schutzgelegenheiten unterwegs sowie öffentliche Toiletten.

Der Politik wird empfohlen, eine Fußverkehrsstrategie zu entwickeln, in der das Gehen in der Siedlungs- und Verkehrsplanung besser verankert und auch mit kleinräumigen Maßnahmen geför-dert wird. Seniorengerechte Siedlungen sollen ein Wohnen in Distanzen bis zu einem Kilometer Entfernung von Aktivitätszentren ermöglichen. Garrard empfiehlt, die Mobilität von Senioren zu Fuß in die Straßensicherheitsstrategie des Bundeslandes zu integrieren und mit einem Finanzierungsprogramm für Fußverkehrsinfrastrukturen zu unterstützen.

Lokalen Verwaltungen wird geraten, ein Programm zur Überprüfung der Fußgängerfreundlichkeit (walkability) der für Senioren wichtigen Gebiete zu etablieren, das u. a. Kriterien zur Belagsgestaltung und Beleuchtung sowie zu Grünzeiten an Ampeln enthält.

Bewertung

Diese gründliche Untersuchung gründet sich methodisch auf mehrere Säulen. Dadurch können verschiedene Aspekte des Themas herausgearbeitet werden. Die durchgeführten Gespräche in Fokus-Gruppen lassen z. B. vielfältige Anpassungsstrategien der Senioren erkennen. Auch wird die im Vergleich zu anderen Altersgruppen hohe Bedeutung des Belags sowie der Beleuchtung als Ri-sikofaktoren für die nicht zu vernachlässigende Sturzgefahr deutlich. Die Studie bietet einen reichen Fundus von empirischen Befunden zur Bedeutung des Zufußgehens bei Senioren. Sie empfiehlt zudem eine Reihe von geeigneten Maßnahmen, mit denen die Mobilität der Senioren zu Fuß sichergestellt und damit auch deren Lebensqualität und Gesundheit gewährleistet werden kann.

Titel:

Senior Victorians and walking: obstacles and opportunities. Final report. Melbourne 2013, 158 S.

Verfasser:

Garrard, Jan

Bezug:

Victoria Walks Inc., Melbourne, gratis-download: www.victoriawalks.org.au

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2014. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.