Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 90/2017
Ausgangslage
Die Attraktivität des Zufußgehens hängt nicht nur von der Infrastruktur ab. Der breiteste Gehsteig ist nur wenig attraktiv, wenn wir an monotonen großformatigen Gebäuden vorbeigehen, ohne Bäume, Sitzgelegenheiten etc. Die Attraktivität des Gehens wird auch maßgeblich bestimmt von der Attraktivität des Öffentlichen Raumes. bestimmt. Hermann Knoflacher hat die höhere Umfeldsensibiltät der Zufußgehenden in seinen Untersuchungen belegt. Fußgängerinnen und Fußgänger, die durch eine abwechslungsreiche und ansprechende Umgebung gehen, nehmen die Entfernungen als geringer wahr, als solche, die durch monoton Stadträume gehen. Ein attraktives Umfeld erhöht die Bereitschaft längere Distanzen zu Fuß zurückzulegen.
Der Öffentliche Raum wird zum einen durch die Gestaltung des Straßenraumes selbst und zum anderen durch die Architektur der den Öffentlichen Raum einfassenden Gebäude geprägt. Das „menschliche Maß“ wie es Jan Gehl beschreibt, wurde leider bei vielen städtebaulichen Planungen missachtet. Die autogerechte Stadt wurde für die Augen der vorbeifahrenden Kraftfahrer gebaut:
Die funktionale Trennung von Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit, die lange Wege bedingt und damit das Auto fördert, potenziert eine fußgängerfeindliche Umgebung. Alexander Mitscherlich hat das Unbehagen mit dieser Art von Stadtentwicklung und Stadtplanung in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“ ausgedrückt. Andreas Feldtkeller hat analysiert, dass in unsern Städten nach 1950 ein erheblicher Teil der Flächen unserer Städte im Sinne der Funktionstrennung und häufig mit geringer Dichte entwickelt wurde.
Viele der Missstände sind inzwischen erkannt. Wir leben nun in einer Phase der Reurbanisierung und schätzen wieder die Qualitäten der kompakten und gemischt genutzten Stadt. In gewachsenen mittelalterlichen oder gründerzeitlichen Stadtvierteln finden wir häufig ein attraktives Umfeld vor, wenn es nicht zu sehr vom Kfz-Verkehr beeinträchtigt ist. Aber wie kann man heute ein attraktives Umfeld neu bauen? Hier zeigt uns das ins Deutsche übersetzte und reich bebilderte Buch von Jan Gehl Wege auf und öffnet uns die Augen.
Inhalt
„Das menschliche Maß“ lautet die Überschrift des Einführungskapitels, in dem die o.g. Entwicklungen und Erkenntnisse aufbereitet werden. Jan Gehl beklagt, dass in Zeiten der autogerechten Stadt „jeglicher freie Stadtraum mit rollendem und stehendem Verkehr belegt“ wurde. Allerdings ist der öffentliche Raum mehr als die Basis des Fußverkehrs. Jan Gehl legt Wert auf die soziale Funktion, als Treffpunkt, der zum zwischenmenschlichen Zusammenhalt und zu einer offenen demokratischen Gesellschaft wesentlich beiträgt. Ein Thema das aktueller nicht sein könnte. Ein sorgfältig gestalteter Öffentlicher Raum ist die Basis für die lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Stadt.
Praktisch anwendbar sind die weiteren Ausführungen in den Folgekapiteln. Gehl leitet her, dass wir evolutionsbedingt linear, frontal und horizontal orientierte Wesen sind und unseren Blick auf die vor uns liegenden Flächen richten. Insofern ist damit die Erdgeschossebene für ein attraktives Umfeld maßgeblich und muss mit der angemessenen Sensibilität gestaltet werden. In idealer Weise beleben Läden und Gastronomie den Straßenraum. Bei erdgeschossigen Wohnnutzungen sind klare Grenzen für den Übergangsbereich von Privat zu öffentlich erforderlich.
Aus der Maßstäblichkeit, aus welcher Distanz wie Menschen wahrnehmen oder dann gar ihre Gesichtsausdruck erkennen können, leiten sich für Gehl die maximalen Proportionen eines Platzes ab, die für ihn etwa 40 mal 80 m betragen. Auf diesem Platz sind die bevorzugten Sitzflächen dann eher am Rand, weil wir gerne den Bereich vor uns Blick haben. In Teilbereichen sind aber auch kommunikativ ausgerichtet Sitzgruppen z.B. Bänke gegenüber eine Bereicherung. Es sollte primäre (Bänke) und sekundäre Sitzgelegenheiten (Umrandungssockel, Baumschutzbügel, etc.) geben.
Für Gehl gehören ein gut geplanter Öffentliche Raum und ein gutes Verkehrssystem untrennbar zusammen. Hier ist in Städten die Flächeneffizienz maßgeblich. Die Unterschiede die wir aus Bildern kennen, benennt Gehl mit Zahlen zur Leistungsfähigkeit. So bewältigen
- zwei Gehsteige mit 3,5 Metern Breite ca. 20.000 Zufußgehende pro Stunde
- zwei Radfahrstreifen mit 2 Metern Breite ca. 10.000 Radfahrende pro Stunde und
- zwei Fahrspuren mit 3,5 Metern Breite lediglich 1.000 bis 1.200 Autos pro Stunde.
Da Zahlen bei Planungen und in öffentlichen Debatten eine so erhebliche Rolle spielen, empfiehlt Jan Gehl die Aktivitäten im öffentlichen Raum zu erfassen und diese gleichwertig wie Verkehrsdaten zu betrachten. Jan Gehls Heimatstadt Kopenhagen ist dieser Empfehlung bereits gefolgt und befragt ihre Bürgerinnen und Bürger nicht nur nach deren Mobilität am Stichtag, sondern auch danach, wie lange sie sich im Öffentlichen Raum aufgehalten haben. Eine längere Verweildauer im Öffentlichen Raum ist ein Indikator für eine erfolgreiche Stadtplanung.
Bewertung
Die große Stärke des Buches mit über 300 Seiten liegt in den auch für Laien gut nachvollziehbaren Analysen und Schlussfolgerungen. Bei einem Vortrag in München kokettierte Jan Gehl damit, dass er seinen Vortrag in englischer Sprache halten würde, aber sein Wortschatz nur ca. 800 Wörter umfasse. Nach 50 Berufsjahren gelingt es Jan Gehl die wesentlichen Bausteine einer menschengerechten Stadt- und Verkehrsplanung in einfache Worte zu packen und zu vermitteln. Dies wird unterstützt durch die zahlreichen farbigen Abbildungen mit Beispielen aus allen Teilen der Welt. Auf Basis des inzwischen weltweite Tätigkeitsspektrums von Gehl Architects lassen sich so kulturelle Besonderheiten wie auch allgemein gültige Regeln ableiten.
Das Buch bleibt jedoch nicht bei den Grundsätzen, sondern geht auch in die Details, die für Praktiker hilfreich sind. Auf den letzten 30 Seiten werden wiederum – anhand von zahlreichen Abbildungen – elementare Planungsgrundsätze abgeleitet.
Alles in allem ein für Laien und Planer lesenswetes Buch für alle, die mehr über die Stadt und den Öffentlichen Raum wissen und in ihrem täglichen Tun eine menschengerechtere Stadt gestalten wollen.
Titel:
Städte für Menschen
Verfasser:
Jan Gehl
Bezug:
Buchhandel oder direkt beim jovis Verlag, www.jovis.de ISBN 978-3-86859-356-3 02.2015, EUR 32,-
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2017. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Paul Bickelbacher.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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