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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 91/2017

Ausgangslage

Inzwischen gibt es auch Indizes für die Radverkehrsfreundlichkeit von Städten. Relativ bekannt ist der „Copenhagenize Index“. Eine systematische Bewertung von Städten bezüglich der Fußgängerfreundlichkeit fehlte bislang. Eine Masterarbeit an der Fachhochschule Erfurt zielt darauf ab, das zu ändern. Der Fußverkehr soll damit in seinem Stellenwert erhöht und mehr als bisher in den Fokus von Entscheidungsträgern und einfachen Bürgern gerückt werden.

Inhalt

Die Idee ist, mit einem Gesamtindex von 0 bis 100 alle deutschen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern miteinander vergleichbar zu machen. Um dahin zu kommen wird zunächst zusammengestellt, was über den Fußverkehr in allgemeinen Zusammenhängen bekannt ist. Zum Beispiel der modal split im internationalen Vergleich oder seine Veränderung im Laufe der Jahrzehnte. Insbesondere die Vorteile des Fußverkehrs werden erörtert, aber auch die Schwächen, denen es entgegenzuwirken gilt (keine Umwege zumuten). Als „Zielgrößen“ für einen „perpedesindex“ werden identifiziert: Attraktivität, Erreichbarkeit, Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit, Verkehrsbelastung, modal split. Und als separate Kategorie die Fußverkehrspolitik.

Aus den Zielgrößen werden Indikatoren abgeleitet, wobei die Barrierefreiheit mangels einer Statistik oder Vergleichsgröße dann aber unberücksichtigt bleibt. Als Indikator für Attraktivität wird die Erholungsfläche pro Einwohner herangezogen. Der modal split basiert auf Statistiken über die Wegeanteile zu Fuß gehender (nur) bei Arbeitswegen. Für Verkehrssicherheit gilt die Zahl der getöteten Fußgänger als maßgeblich, wobei Schwerverletzte und Leichtverletzte mit einem Zehntel bzw. Hundertstel gewichtet den Totenzahlen hinzugerechnet werden. „Verkehrsbelastung“ wird über die Zahl zugelassener Pkw definiert. Für „Erreichbarkeit“ ermittelte der Autor den Umwegefaktor anhand des Quotienten aus Reiseweg und Luftliniendistanz, gemessen mit Routenempfehlungen von Google Maps ab dem jeweiligen Rathaus, immer zu Punkten in vier Himmelsrichtungen im Umkreis von zwei Kilometern.

Jeder Indikator kann bis zu 20 Punkten zum Gesamtindex beisteuern, woraus sich maximal ein Index von 100 ergibt. Das Ergebnis für das Jahr 2015: Jena und Rostock liegen mit jeweils 76 Punkten ganz vorne. Überhaupt schnitten ostdeutsche Städte im Durchschnitt besser ab. Am unteren Ende sind Saarbrücken (39), Regensburg (38) und Heidelberg (36; hierzu siehe weiter unten) zu finden. Die meisten Städte erreichten Punktzahlen zwischen 50 und 60.

Anschließend findet eine separate Bewertung der Fußverkehrspolitik der Städte statt. Hierbei werden Verkehrsentwicklungspläne, Luftreinhaltepläne, Lämminderungspläne (alle je 17% Gewichtung, bzw. trotzdem insgesamt 50% wenn nicht alle Pläne durchgeführt) und – soweit vorhanden - Fußverkehrskonzepte (50%) eingeschätzt. Moers (83 Punkte) und Berlin (78) lagen am Ende vorne, insbesondere wegen vorhandener Fußverkehrskonzepte. Manche Städte erzielten 0 Punkte, und so erklärt sich auch der Mittelwert von lediglich 25 Punkten. Ein direkter Zusammenhang zwischen den Ergebnissen des perpedesindex und der Fußverkehrspolitik konnte nicht ermittelt werden.

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass beim Vergleich der Sieger von Radverkehrs-Indizes eine „Radlstadt“ keineswegs zugleich besonders fußverkehrsfreundlich sein muss.

Bewertung

Das Werk von Jörg Kwauka liefert zunächst eine recht umfangreiche globale Betrachtung des Fußverkehrs. Diese ist gut lesbar und verständlich geschrieben, und deshalb auch für bislang wenig Fußverkehrs-Interessierte Verwaltungen absolut empfehlenswert.

Der Autor diskutiert ausführlich die Problematik der verfügbaren Daten bzw. der im Rahmen einer Masterarbeit selbst erhebbaren Daten. Obwohl sich die Untersuchung auf die 76 einwohnerstärksten Städte beschränkte, mussten die Zahlen der Verletzten teils einzeln bei Polizeibehörden und mit Ministererlaubnis erfragt werden. Beim modal split war eine gemeinsame Datenbasis der Städte nur herstellbar, indem eine Beschränkung auf Arbeitswege stattfand.

Um letztendlich eine Vergleichbarkeit über einen Index zu erreichen, waren Vereinfachungen notwendig. Dies wird auch offen diskutiert. So hat z.B. Heidelberg den letzten Platz im perpedesindex auch deshalb erreicht, weil im 2-km-Umkreis des Rathauses Berghänge liegen und Serpentinen zu großen Umwegen führen. Würde der Umwegefaktor zukünftig mit mehr als einem Ausgangspunkt untersucht, könnten solche Verzerrungen vermieden werden.

Die Untersuchung des Umwegefaktors mit Hilfe von Google Maps sagt selbstverständlich nichts über die Qualität des empfohlenen Weges aus. Gehwegbreiten z.B. zu ermitteln würde den Untersuchungsaufwand stark erhöhen. Man könnte sagen, weil der modal split berücksichtigt wird, ließe sich annehmen, wo viel gelaufen wird, müsse auch die Wegequalität gut sein. Jedoch ist der modal split eine relative Größe. Vielleicht wird trotz schlechter Fußverkehrsbedingungen viel gelaufen, weil es zugleich lange Kfz-Staus gibt.

Ein vielleicht noch größeres Problem taucht auf, wo als Indikator für Verkehrssicherheit die toten und verletzten Fußgänger in Relation zur Einwohnerzahl gesetzt werden. Hier hat der Autor zwar (mit negativem Ergebnis) untersucht, ob es in der Gesamtschau der Städte eine relevante Korrelation zum modal split gibt, doch denkt man insbesondere an Schulwegpläne mit no-go-areas, wird die Problematik deutlich: Zu Fuß Gehende werden aus Angst vor Kfz zu Umwegen gezwungen. Der Umwegefaktor ist dann real größer als mit Google Maps ermittelt. Und auch ohne Schulwegpläne umgehen Fußgänger intuitiv mehr oder weniger richtig eingeschätzt Gefahrenstellen, womit der Fußverkehr unter seinen eigentlichen Möglichkeiten bleibt.

Im Übrigen ist die unkritische Übernahme der aus Polizeistatistiken ableitbaren Behauptung, Fehlverhalten von Fußgängern an Querungsstellen sei die häufigste Unfallursache, in einem perpedesindex eigentlich fehl am Platz.

Das alles ändert nichts daran, dass die Pionierarbeit von Jörg Kwauka grundsätzlich positiv einzuschätzen ist. Mit mehr Aufwand könnten zukünftig noch genauere Ergebnisse erzielt werden.

Die separate Betrachtung der Fußverkehrspolitik ist trotz mehr subjektiver Bewertung insofern interessant, als dass keine Korrelation erkennbar wurde. Das kann eigentlich auch nicht verwundern, denkt man insbesondere an das Thema illegales Gehwegparken. Dies ist ja gerade nicht Thema von (offiziellen) Planungen, jedoch eine real existierende Beeinträchtigung des Fußverkehrs. Bei der nächsten Erhebung des perpedesindex wäre es daher evtl. besser, den Aufwand zur Durchsicht politischer Verlautbarungen zugunsten der Ermittlung tatsächlicher Wegequalitäten umzuleiten.

Titel:

perpedesindex 2015 - Bewertung der Fußverkehrsqualität in deutschen Städten. 121 Seiten, 2016

Verfasser:

Jörg Kwauka, FH Erfurt, Masterarbeit

Bezug:

FUSS e.V. kann die Arbeit als pdf auf Wunsch zusenden.

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2017. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Markus Schmidt.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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