Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 100/2019
Ausgangslage
In den letzten Jahren hat es in nicht wenigen Teilen Deutschlands deutliche Verbesserungen an den ÖPNV-Haltestellen selbst gegeben. Nicht zuletzt, weil Fördermittel fließen, um z.B. Hochborde für einen barrierefreien Übergang in Niederflurfahrzeuge einzurichten
Eine flächenmäßig viel größere Dimension haben natürlich die Zuwegungen zu den Haltestellen. Hermann Knoflacher zeigte vor langer Zeit auf, dass das Einzugsgebiet und damit das Fahrgäste-Potential schon mit zunehmender optischer Barrierefreiheit deutlich steigt (70 % längere Fußwege). Hier gibt es noch viel zu tun, um die Potentiale auszuschöpfen.
Inhalt
Zu Fuß zur Haltestelle“ ist ein VCD-Projekt, gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, sowie durch das Umweltbundesamt. Laut Projektvorstellung (siehe bei www.vcd.org/zufusszurhaltestelle) läuft die 24monatige Projektdauer noch bis März 2020. Diese Begrenzung ist vermutlich dadurch begründet, dass ein Projektteam des VCD so lange in Bereitschaft ist. In einem Rundschreiben wurden VCD-Aktive aufgerufen, sich bis zum 31.7.2019 beim Projektteam zu melden, um Kontakte zu „lokalen Entscheidern“ herzustellen und vor Ort die Aktion ins Leben zu rufen. Dazu gehören Fußverkehrschecks, unterstützt durch das Berliner VCD-Team.
In der „Einladung zum Mitmachen für VCD-Gliederungen“ wird das Projekt damit begründet, dass Fußverkehr in der Planung „häufig nicht mitgedacht“ und „keine starke Lobby“ habe.
Im Vorwort des 40seitigen Projektkataloges heißt es, es solle gezeigt werden, „worauf es Menschen ankommt, die auch ohne Auto gut mobil sind“.
Danach werden ein paar interessante statistische Daten genannt. So z.B., dass 43 Prozent der Bewohner*innen von Großstädten mehr als einmal wöchentlich den ÖPNV benutzen. Einer Umfrage des VCD in Ortschaften aller Größenordnung zu Folge, wird die Wegeleitung von nur 33 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut eingestuft. Das ist noch weniger, als bezüglich der Informationen zu den verschiedenen Fahrpreisen (42 %).
Der textintensivere Teil des Kataloges beginnt dann auch mit dem Thema „Orientierungshilfen“. Auf markante Ziele – u.a. natürlich Haltestellen - in einem Radius von 300 bis 500 Metern soll an Kreuzungspunkten mit Schildern hingewiesen werden. Am besten in Kombination mit Umgebungsplänen. Es wird empfohlen, Angaben in Gehminuten zu machen. Die Wiener Stelen werden als vorbildlich beschrieben. Auch weil dort Durchgänge durch Höfe eingezeichnet sind. Die nicht geringen Kosten verschweigt der Katalog nicht. Es wird darauf hingewiesen, dass auch für Rollstuhlfahrende die Lesbarkeit von Umgebungsplänen gewährleistet sein soll.
Menschen, die langsamer als der Durchschnitt unterwegs sind, oder die Treppen oder sonstige Barrieren meiden wollen, müsse in den online-Angeboten eine entsprechende Auswahl gegeben werden.
An Straßen-Mittelinseln wird die Bordsteinhöhe thematisiert. Eine 3 cm-Absenkung sei nur ein Kompromiss. Die Aufteilung in 2 Bordhöhen für Menschen mit Taststock einerseits, und Menschen im Rollstuhl andererseits (Nullabsenkung) auf je 1 Meter Breite gilt als die beste Lösung.
Als Mindestgehwegbreite werden 2,5 Meter angesetzt. Diese soll nicht durch Fahrräder reduziert werden, weshalb für genügend Fahrradabstellanlagen zu sorgen sei.
Mehr Fußgängerüberwege und Mittelinseln werden gefordert. Sie ersparen laut FUSS e.V. und SRL Umwege um bis zu 40 Prozent. Es werden insbesondere Zebrastreifen empfohlen, da diese – bei guter Umfeldgestaltung – nicht weniger sicher als Lichtsignalanlagen seien. Auch kostengünstiger - was auch für einfache Mittelinseln (ohne Fahrbahnverbreiterung) gelte.
Im darauf folgenden Kapitel ist dann zu lesen, der VCD sei „gegen die Benachteiligung von Fußgänger*innen im Straßenverkehr!“ Ein Bild zeigt die Aktion „Warten auf Grün!“ mit auf einer Mittelinsel zwischen Lichtsignalanlagen „Gestrandeten“.
Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum sind der nächste Punkt. Auf den Höchstabstand von 300 Metern laut EFA wird hingewiesen. Die Ausgestaltung origineller und künstlerisch anspruchsvoller Haltestellen-Möblierung ist ein Thema und wird bildlich untermalt. Begrünung und Beleuchtung von Wegen zur Haltestelle zwecks Verschönerung und Erhöhung der (gefühlten) Sicherheit sei ein weiteres Mittel, welches zum Gehen einlade. Und schließlich sollen Haltestellen teils auch „Mobilitätsstationen“ werden – mit der Möglichkeit, bike- und carsharing in Anspruch zu nehmen.
Um passende Verbesserungsmaßnahmen vorschlagen zu können, wird ein Fußverkehrscheck empfohlen. Hierzu stellt der VCD auf seiner Website eine Liste zur Verfügung. Überhaupt sind viele Links enthalten, über die ausführliche Infos einholbar sind.
Bewertung
Die Idee, lokal Aktiven vor Ort Unterstützung aus der VCD-Zentrale anzubieten, klingt vielversprechend. Auf eine Auswertung nach dem Aktionszeitraum darf man gespannt sein.
Schade ist, dass das Bundesministerium für Verkehr nicht zu den Fördernden gehört. Im Zusammenhang mit den Elektro-Tretrollern wurde dort schließlich kurzfristig entdeckt, wie wichtig „die letzte Meile“ von/zur nächsten Haltestelle sei.
Noch gar nicht im Katalog erwähnt sind die E-Tretroller. Zitat: „Wenn eine Stadt oder Gemeinde eine Mobilitätsstation einrichtet, soll es dort Stellplätze für mindestens zwei Carsharing-Fahrzeuge und fünf Leihfahrräder geben.“ Das Verhältnis 2:5 erscheint wenig ambitioniert.
Begrüßenswert im Sinne der Resilienz ist, dass smartphones nicht vorausgesetzt werden, sondern auch gedruckte Wegweisung gefordert wird.
Bemerkenswert ist die relativ ausführlich zum Ausdruck gebrachte Präferenz für Zebrastreifen, obgleich viele zu Fuß Gehende eine Vorliebe für Lichtsignalanlagen haben. Vielleicht sind verkehrsberuhigte Bereiche deshalb nicht erwähnt, weil sie zu viel des Guten wären.
Im 40seitigen Projektkatalog sind die großen Fotos ästhetisch gelungen und haben dadurch auch Aussagekraft. Sie lassen sich lokalen „Entscheidern“ vorzeigen.
Titel:
Zu Fuß zur Haltestelle – Leitfaden für gute Wege zur Haltestelle; erschienen 2019, 40 Seiten.
Verfasser:
Verkehrsclub Deutschland e.V. (mehrere Autor*Innen), Projektleiter: Philipp Kosok,
Bezug:
VCD, www.vcd.org → Themen → Fußverkehr
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2019. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Markus Schmidt.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.