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3.059 Verkehrstote 2019 – das feiern einige in Deutschland als Erfolg, da es weniger Tote sind als in früheren Jahren. Es ist aber das Eingeständnis eines anhaltenden Skandals: Ein Großteil dieser Menschen könnte noch leben.

Doch Deutschland  verweigert sich  sicherheitsorientierten Tempolimits und des umfassenden Einsatzes von Fahrzeug-Steuerungstechnik, die elektronisch gefährliche Verstöße unterbinden würde – etwa gegen Tempolimits, Abstandspflichten sowie gegen den Fußgängervorrang an Zebrastreifen, nach dem Abbiegen und an Ampeln. Zudem braucht es weiter erhöhte Bußgelder und striktere Überwachung.

Die Zahl der getöteten Fußgänger ist noch nicht veröffentlicht; es gibt nur eine lokale Zahl: In Berlin 19 starben 2018 19 Menschen zu Fuß; 2019 waren es 26.

Sicher gehen - Vorschläge von FUSS e.V. zum Verkehrssicherheitsprogramm des BMVI

Fußgängersicherheit wird in Deutschland generell vernachlässigt: Im Entwurf des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) für das Verkehrssicherheitsprogramm 2021- 2030 fehlt für den Fußverkehr das eigene Handlungsfeld, er wird vielmehr „versteckt“ im Handlungsfeld „Sichere Teilhabe für Alle“, während z.B. Rad- und Motorradverkehr ihre jeweils eigenen Abschnitte haben. Mit dieser Entscheidung wird die mangelnde Wertschätzung des Fußverkehrs durch das BMVI deutlich. Und das ungeachtet der bekannten positiven Eigenschaften von zu Fuß gehen: nachhaltig, klimafreundlich und kommunikativ! Aber eben auch sehr verletzlich: Fußverkehr muss deshalb ein sicherheitspolitisches eigenständiges Handlungsfeld auch auf Bundesebene werden, die Bundesregierung muss Verantwortung übernehmen!

Sicherheit für den Fußverkehr hat drei Stellschrauben: das Individuum, das Fahrzeug und die Infrastruktur. Doch sogar die Unfallstatistik kann zur Sicherheit beitragen.

Infrastruktur und Regeln zum Schutz des Fußverkehr

sZur Verkehrsinfrastruktur gehören Straßen, Wege und Plätze; wichtig sind auch Verkehrsregeln und Maßnahmen zur Verkehrssicherheit. Eine solche Maßnahme ist es, die Geschwindigkeit zu reduzieren, denn wo langsamer gefahren wird, sind Unfälle seltener und weniger schwer. Wir fordern:

  • Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, nicht nur im Umfeld sensibler Einrichtungen wie Kitas, Schulen oder Krankenhäuser, sondern auch auf Hauptschulwegen oder im Umfeld wichtiger ÖPNV-Haltestellen. Ziel ist eine Verbesserung der subjektiven Sicherheit von zu Fuß Gehenden, z.B. dort, wo schmale Gehwege direkt an die Fahrbahn angrenzen sind oder regelmäßig Gruppen laufen und nicht erst auf der Basis von Unfallzahlen.
  • Für das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein höheres Bußgeld und Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg, rascheren und längeren Führerschein-Entzug sowie in gravierenden Fällen weitere Strafen, zum Beispiel Beschlagnahme des Fahrzeugs.
  • Ausweitung des Vorsichts-Gebots für Fahrende in § 3 Abs. 2 a StVO auf alle Gehenden (nicht nur „gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen“). Bei Verstößen strengere Strafen.

Das Überqueren der Fahrbahn ist unfallträchtig. Sehen und gesehen werden sind Voraussetzung für sicheres Queren. Wir fordern:

  • Sichere Querungshilfen an Kreuzungen und Einmündungen, an Hauptverkehrs- und Sammelstraßen in kurzen Abständen (100 – 150 Meter) oder flächenhaft entlang der Straßen mit Zielen (Einkauf, Institutionen, Freizeit etc.) auf beiden Straßenseiten sowie im Bereich von Haltestellen (ggf. an beiden Enden).
  • Verpflichtung zur Freihaltung von Sichtfeldern an allen Querungsstellen von Parken und weiteren Sichtbehinderungen auf einer Länge von min. zehn Meter und/oder planerisch unterstützt durch Gehwegvorziehungen damit Autofahrende einen sicheren Blick auf querungswillige Personen. Illegales Halten und Parken sollte strenger bestraft werden als bisher.
  • Einführung der Verkehrsregelung „Begegnungszone“ mit Höchsttempo 20 mit Vorrang für den Fußverkehr und Parkverbot, um das gemeinsame Miteinander auf Plätzen und in Geschäftsstraßen und ohne Umbau auch in Straßen ohne regelkonformen Gehweg zu verbessern (wie in der Schweiz, Österreich, Belgien, Luxemburg und Frankreich).
  • Verzicht auf die Neuanlage von freien Rechtsabbiegespuren (und damit entstehende Dreiecksinseln), die das Abbiegen beschleunigen und den Fußgänger*innen eine zusätzliche Querungsstelle bescheren. Rückbau des Bestands, ansonsten verpflichtende Ausstattung mit Fußgängerüberweg (FGÜ, Zebrastreifen). FGÜ bedeutet Vorrang für den Fußverkehr, Ampeln/ LSA bedeutet ggf. Anfordern und Warten.
  • Überarbeitung und Aktualisierung der Einsatzkriterien für die Anordnung von Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen) (R-FGÜ) auch bei geringen Fußverkehrszahlen, in Tempo 30-Zonen und auf Haupt-Schulwegen.
  • An Kreisverkehrsplätzen sind grundsätzlich in allen Zu- und Ausfahrten Fußgängerüberwege anzulegen, um für alle Verkehrsteilnehmende eine einheitliche und klare Information der Querungssituation sicherzustellen. Beim Zusatz in der VwV zur StVO zu § 26 IV: „Auf Fußgängerüberwege wird mit Zeichen 350 hingewiesen. In wartepflichtigen Zufahrten ist dies in der Regel entbehrlich“ muss dann der letzte Satz gestrichen werden.

Gehwege sind der einzige Schutzraum für den Fußverkehr. Andere Verkehrsteilnehmer*innen sollten diese Wege nur ausnahmsweise benutzen dürfen. Wir fordern:

  • Fahrbahnbegleitende gemeinsame Geh- und Radwege innerorts nur dort anordnen, wo ausreichende Breiten sichergestellt sind und keine Alternativen zur Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn bestehen.
  • Herstellen von separaten Bordsteinradwegen nur dort, wo ein mindestens 2,50 Meter breiter Gehweg bleibt, bei intensiven Randnutzungen muss entsprechend der Richtlinien ein breiterer Gehweg verbleiben.
  • Gewährleistung einer sicheren Radverkehrsführung, u.a. fahrradfreundliche Fahrbahnen durch Tempo 30, Fahrradstraßen oder Radverkehrsmarkierungen (Radfahrstreifen, Schutzstreifen oder Piktogrammspuren,mit Sicherheitsabstand zum ruhenden Kfz-Verkehr)
  • Konsequentes Ahnden von Gehwegparken und -fahren für Kfz, Fahrräder oder Elektrokleinsfahrzeuge, höheres Bußgeld und Punkte im Verkehrszentralregister.

Für Verkehrssicherheit zu sorgen ist eine Daueraufgabe. Sie erfordert Regeln, zusätzliche Mittel und qualifiziertes Personal. Wir fordern:

  • Die Straßenverkehrsbehörde muss nachweisen, dass sie die Verkehrsinfrastruktur wie vorgeschrieben regelmäßig prüft. Dazu erstellt und aktualisiert sie ein Mängel-Kataster der Fußverkehrsinfrastruktur. Zu den jährlichen Verkehrsschauen werden FUSS e.V., sowie Verbände für Senior*innen und Menschen mit Behinderung eingeladen.
  • An Haupt(-verkehrs)straßen, nach Verkehrsunfällen, an denen Fußgänger*innen und/ oder Radfahrer*innen beteiligt sind wie auch an konfliktträchtigen Bereichen, müssen zeitnah Bestandsaudits(1) durchgeführt werden..
  • Mitarbeiter*innen der Straßenverkehrsbehörde müssen für ihre Aufgaben nicht nur geschult, sondern fachgerecht ausgebildet werden und sind ihrer Verantwortung entsprechend zu bezahlen.
  • Verkehrs- und Straßenplaner*innen wie auch Mitarbeiter*innen der Straßenverkehrsbehörden müssen sich wie Mitglieder der Kammern regelmäßig fortbilden.

Das Individuum

Damit Menschen sich im Straßenverkehr angemessen verhalten, müssen sie die Verkehrsregeln kennen und akzeptieren. Die Regeln müssen umsetzbar sein und besonders verletzliche Verkehrsteilnehmer*innen schützen. In der Straßenverkehrsordnung und in Medien sollten deshalb Regelungen im Klartext dargestellt werden:

  • Eindeutiger Vorrang für den Fußverkehr an Fußgängerüberwegen (FGÜ, Zebrastreifen und in verkehrsberuhigten Bereichen
  • Verbot des Parkens auf Gehwegen, an Kreuzungen, Einmündungen und Querungsstellen
  • Vorrang für den Fußverkehr in den neu einzurichtenden Begegnungszonen
  • Vorrang für den Fußverkehr gegenüber abbiegenden Fahrzeugen rechtlich verbessern, textlich klarstellen und durchsetzen
  • Klare Vorrangregelung in der StVO beim Ein- und Aussteigen an Haltestellen gegenüber dem Radverkehr.

Weitere nötige rechtliche Änderungen:

  • Ausreichend Zeit für Fußgänger*innen, nach dem Umschalten auf Rot die andere Straßenseite zu erreichen. Hierbei ist im Zuge von wichtigen Schul- oder Spazierwegen die Gehgeschwindigkeit von Kindern oder Senioren zugrunde zu legen
  • Verkehrsregeln ändern sich. Um die Regelkompetenzen der Führerscheininhabenden zu prüfen, sollten alle unter 26-Jährige den Führerschein nur zur Probe erhalten mit einer anschließenden theoretischen und praktischen Prüfung zur Auffrischung des Führerscheins alle fünf Jahre.

Die Fahrzeuge

Je größer und schneller ein Fahrzeug ist, desto gefährlicher kann es ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen werden. Wir fordern:

  • Gesetzliche Standards zur fußverkehrsfreundlichen Ausstattung von Kraftfahrzeugen, z. B. Außenairbag und eine geeignete Geometrie der Fahrzeugfront, wofür es seit Jahrzehnten Vorschläge gibt.
  • Da jedoch Geometrie der Fahrzeugfronten und Airbags immer nur auf eine menschliche Größe ausgelegt sein können, fordern wir eine verpflichtende, nicht ausschaltbare Bremsautomatik für den Fall, dass eine Person zu Fuß den Fahrweg kreuzt.
  • Verbindlicher Einbau der „Intelligent Speed Assistance“-Software (ISA) in alle neuen Automodelle noch vor 2024 in Deutschland. Dabei darf ISA– zumindest innerorts – nicht ausschaltbar sein.
  • SUV sind für Off-Road konzipiert, mit ihrer Breite benötigen sie innerorts überproportional viel Platz. Daher sind zum einen deutlich höhere Steuern auf SUVs zu erheben, zum anderen ist für Innenstädte und auf engen Straße eine Durchfahrtsperre für Fahrzeuge ab einer bestimmten Breite (> 2 m incl. Außenspiegel) mit entsprechendem Bußgeld zu erlassen. Dies betrifft auch Fahrzeuge, die nicht offiziell zur Kategorie SUV gehören
  • Für alle Motorfahrzeuge mit Elektroantrieb (Hybrid und reine E-Autos) das verpflichtende, nicht ausschaltbare Warngeräuschsystem (AVAS) auch für Bestandsfahrzeuge
  • Für alle Lkw und Busse ab sofort die Einführung verpflichtender elektronische Abbiegeassistenten für Neufahrzeuge sowie die verpflichtende Nachrüstung für Bestandsfahrzeuge

Die Unfallstatistik

Paragraf 1 des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes lautet: „Über Unfälle, bei denen infolge des Fahrverkehrs auf öffentlichen Wegen und Plätzen Personen getötet oder verletzt oder Sachschäden verursacht worden sind, wird laufend eine Bundesstatistik geführt. Sie dient dazu, eine aktuelle, umfassende und zuverlässige Datenbasis über Struktur und Entwicklung der Straßenverkehrsunfälle zu erstellen.“

Die Unfallstatistik soll künftig auch Alleinunfälle von Fußgänger*innen enthalten, damit ins öffentliche Bewusstsein rückt, dass man sich um Sicherheit für den Fußverkehr ernsthafter bemühen muss als bisher.

Fehlt hier noch etwas? Hinweise, Ergänzungen und Korrekturen an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 

Hinweise und Anmerkungen:

Wir hatten den ersten Entwurf unseres Forderungskatalogs in der mobilogisch 3/19, Seite 24 ff. veröffentlicht. Wir danken allen, die uns Hinweise und Ergänzungen genannt haben!

FUSS e.V. war im Jahr 2019 an der ersten, strategischen Sitzung zur Erarbeitung des Verkehrssicherheitsprogrammes im BMVI beteiligt und wird sich auch bei den „inhaltlichen“ Sitzungen in 2020 einmischen.

  1. Diese Audits sind systematische Beurteilungen der Infrastruktur anhand von Check-Listen. Sie sollten möglichst durch externe Fachleute durchgeführt werden.