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Proträt von Markus Lewe
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Markus Lewe ist Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Münster. Er hat die Schirmherrschaft für den Fußverkehrspreis Deutschland 2025 übernommen. Für unsere Zeitschrift "MobiLogisch" haben wir ein Interview mit ihm geführt.

Herr Lewe, Sie stehen seit nunmehr drei Jahren an der Spitze des Deutschen Städtetags und waren zuvor schon in den Jahren 2018 und 2019 Präsident. Was macht diese Position für Sie aus?

Das ist zum einen der Austausch mit unglaublich vielen engagierten Menschen, die vor Ort ihre Stadt besser machen und weiterentwickeln wollen. Wir fördern diesen Austausch zwischen den Städten. Jede Stadt hat bei allen Unterschieden ähnliche Herausforderungen, da können wir viel voneinander lernen. Für diese Herausforderungen entwickeln wir gemeinsame Lösungen und formulieren gemeinsame Anliegen. Als Präsident setze ich mich dafür ein, dass diese Anliegen der Städte von Bund und Ländern gehört werden, sei es in der Wohnungsbaupolitik, in der Sozialpolitik oder eben beim Thema Mobilität. Und das alles ist kein Selbstzweck. Wir wollen, dass unsere Städte lebenswerte Orte für unsere Bürgerinnen und Bürgern bleiben.

Warum unterstützen Sie den Fußverkehrspreis als Schirmherr? Und wie kann sich der Deutsche Städtetag für den Fußverkehr einsetzen?

Die Städte haben sich längst auf den Weg gemacht und sind mitten in der Mobilitätswende. Wir werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten unsere Verkehrssysteme umstellen und weiter umbauen. Weg vom Fokus der „autogerechten Stadt“, hin zu einem nachhaltigen und klimaschonenden Verkehrsmix, der die Mobilitätsbedürfnisse unserer Bürgerinnen und Bürger erfüllt. Da spielt der Fußverkehr eine ganz wichtige Rolle. Der Deutsche Städtetag ist immer auch eine Austauschplattform für Beispiele guter Praxis. Deswegen haben Auszeichnungen wie der Fußverkehrspreis Deutschland genau den richtigen Ansatz: Nachahmenswerte Projekte auszeichnen und bekannt machen, damit auch andere von diesen Ideen profitieren können. Der Deutsche Städtetag setzt sich außerdem dafür ein, dass der Fußverkehr stärker in den Fokus der Verkehrspolitik in Bund und Ländern rückt. Wir haben vom Bund lange mehr Engagement in diesem Bereich gefordert und begleiten intensiv den Prozess hin zu einer Nationalen Fußverkehrsstrategie.

In Städten haben Zufußgehende im Alltag mit vielen Hürden zu kämpfen – zu schmale Gehwege, zugeparkte Kreuzungen, kurze Grünphasen an den Ampeln. Was können die Städte ändern?

Ich erwähnte bereits das Bild der „autogerechten Stadt“, das den Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg stark geprägt hat. Das zeigt sich an manchen Stellen dann eben auch im Stadtbild mit manchmal sehr schmalen Gehwegen. Vom Bild der „autogerechten Stadt“ wollen die Städte weg. Aber nicht alles, was baulich über Jahrzehnte entstanden ist, lässt sich von heute auf morgen ändern. Trotzdem: Wir sind dran. Was zugeparkte Kreuzungen und Gehwege angeht: Hier können wir als Städte natürlich mit unseren Ordnungsämtern aktiv werden und mit der Verkehrsplanung und der Straßenverkehrsbehörde gute tragfähige Konzepte entwickeln – und tuen das auch. Eins ist mir in diesem Zusammenhang aber auch wichtig: Im öffentlichen Raum und im Straßenverkehr aufeinander Rücksicht zu nehmen ist etwas, das jede und jeder einzelne von uns in der Hand hat. Das ist nichts, was eine Stadt „anordnen“ kann, sondern etwas, das wieder viel stärker unser gesellschaftliches Miteinander bestimmen muss. Der Deutsche Städtetag unterstützt verschiedene Kampagnen, die für mehr Achtsamkeit und gegenseitigen Respekt im Straßenverkehr werben – am Ende des Tages müssen das aber alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer in ihrem Alltag auch tatsächlich leben.

Was macht Ihrer Meinung nach gute Fußverkehrsinfrastruktur aus? Und was wünscht sich der Deutsche Städtetag von der Bundesregierung, damit die Kommunen den Fußverkehr noch attraktiver und sicherer machen können?

Eine gute Fußverkehrsinfrastruktur sorgt für sichere und barrierefreie Fußwege. Das ist das Wichtigste. Darüber hinaus sollten Fußwege aber auch eine hohe Aufenthaltsqualität haben: Sie sollten nicht nur der Verkehrsweg von Punkt A nach Punkt B sein, sondern im Idealfall auch zum Verweilen einladen und Begegnungen ermöglichen. Eine gute Infrastruktur für den Fußverkehr ist so gestaltet, dass Menschen aller Altersgruppen sich sicher und gerne zu Fuß bewegen können. Dazu können breite, gut beleuchtete Gehwege gehören, sichere Straßenübergänge, aber auch ruhige, begrünte Bereiche für einen kurzen Aufenthalt.

Von der Bundesregierung wünschen wir uns die klare Zusage, den Fußverkehr viel stärker in den Fokus der Verkehrspolitik zu rücken. Und das nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem mit einer stärkeren finanziellen Förderung und verbindlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die den Fußverkehr als gleichberechtigt gegenüber anderen Verkehrsarten anerkennen. Auch die Umsetzung der Vision Zero ist zentral, also ein Verkehrssystem, in dem es keine tödlichen Verkehrsunfälle mehr gibt. Hier sollte der Bund noch deutlich mehr tun.

Mit der Novellierung des Straßenverkehrsrechts, der Erstellung einer Nationalen Fußverkehrsstrategie und der gezielten Bereitstellung von Fördermitteln für den Fußverkehr schafft der Bund gerade neue Grundlagen. Was erhoffen Sie sich von diesen Entwicklungen? Wird es bald deutlich mehr Qualitäten für den Fußverkehr in deutschen Kommunen geben?

Wenn es nach uns geht: ja. Wir setzen in Zukunft auf mehr Qualität für den Fußverkehr in einem modernen und nachhaltigen Verkehrsmix. Was den Bund angeht fällt unsere Bewertung eher ambivalent aus. Die Städte hatten große Erwartungen an die Novelle von Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung. Die wurden nicht wirklich erfüllt. Wir sind die Verkehrsexperten vor Ort und wollten deutlich mehr Entscheidungsfreiheit in der Verkehrspolitik. Die haben wir nur an sehr wenigen Stellen bekommen. Wo welche Geschwindigkeit für den Straßenverkehr gilt, also zum Beispiel Tempo 30, können wir immer noch nicht komplett selbst festlegen. Gerade für mehr Sicherheit für den Fußverkehr ist das aber ein ganz wichtiger Aspekt. Auch bei der Nationalen Fußverkehrsstrategie ist unsere Einschätzung zweigeteilt: Zum einen ist es gut, dass es ähnlich wie mit dem Nationalen Radverkehrsplan eine solche Strategie jetzt auch für den Fußverkehr geben soll. Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber der aktuelle Entwurf geht definitiv nicht weit genug. Er formuliert viele richtige Ziele und Ansätze, es fehlen aber die konkreten Maßnahmen, mit denen der Bund diese Ziele erreichen will. Ähnlich sieht es bei den Fördermitteln aus. Aktuell stehen pro Jahr 2,5 Millionen Euro für Fußverkehrsprojekte zur Verfügung. Das ist ein Anfang, aber im Vergleich zu rund 400 Millionen Euro für den Radverkehr nur ein Bruchteil. Es geht mir aber gar nicht darum, zwei nachhaltige Verkehrsarten wie den Fußverkehr und den Radverkehr gegeneinander zu stellen. Viel besser wäre es, sie gemeinsam und vernetzt zu denken. Überhaupt lassen sich Rad- und Fußverkehr gut kombinieren, vielleicht sogar mit einer Nahmobilitätsstrategie der Bundesregierung.

Mit dem Fußverkehrspreis wollen wir vorbildliche Maßnahmen und Projekte von Kommunen sichtbar machen und würdigen. Wie kann Ihrer Meinung nach der Fußverkehrspreis dazu beitragen, dass es in den kommenden Jahren mehr Best Practice Beispiele für den Fußverkehr in Deutschland geben wird?

Wie gesagt: Ein solcher Preis ist immer die beste Gelegenheit, Beispiele guter Praxis in die Breite zu tragen und auch anderen Städten zugänglich zu machen. Das ist wie ein Ideenpool, der dafür sorgt, dass immer mehr solcher Projekte umgesetzt werden.

Ein solcher Preis kann aber noch ganz andere Effekte haben: Er vernetzt und bringt Bündnispartner zusammen, die sich gemeinsam für besseren Fußverkehr einsetzen. Und er schafft durch diesen Austausch mehr gegenseitiges Verständnis für Herausforderungen und Stolpersteine, vor denen manche Akteure noch stehen, wenn es darum geht, die Infrastruktur für den Fußverkehr zu verbessern. Bei der letzten Preisverleihung sagte Ruth Hammerbacher, Vorstandsmitglied von FUSS e.V.: „Viele Städte und Gemeinden würden gern mehr für den Fußverkehr tun. Aber sie dürfen nicht, weil veraltete Vorschriften ihnen vieles verbieten oder stark erschweren.“ Das trifft es ziemlich gut. Und deswegen ist der Fußverkehrspreis eben auch Anlass, politische Allianzen zu schmieden, die die Situation verbessern und den Kommunen mehr Kompetenzen für eine nachhaltige Verkehrspolitik geben.

Viele Städte denken wahrscheinlich immer noch: Auch an einem Preis für Fußverkehr kann man nur teilnehmen, wenn man richtig viel Beton und Steine bewegt hat. Muss der Oberbürgermeister bei der Eröffnung feierlich das rote Band zerschneiden?

Ich glaube, das ist ein Verständnis von Kommunalpolitik, das ich und meine Amtskolleginnen und -kollegen in den deutschen Städten so längst nicht mehr haben. Stadtentwicklung ist angesichts der vielen epochalen Transformationsprozesse, vor denen wir stehen, unglaublich komplex. Egal ob in der Mobilitätspolitik, der Quartiersentwicklung oder bei der Energiewende: Das alles erfordert einen vielfältigen und intelligenten Mix an Maßnahmen. Ja, das kann auch die große bauliche Maßnahme sein. Aber es gibt genauso die digitalen, organisatorischen oder logistischen Lösungen, die etwas Wichtiges verändern können. Der Fußverkehrspreis kann übrigens auch Projekte sichtbar machen, die gar nicht viel Geld kosten. Auch das ist ja angesichts angespannter kommunaler Haushalte nicht unwichtig.

Sie sind Oberbürgermeister von Münster – der Stadt, die bislang als Fahrradstadt bekannt ist. Wird Münster jetzt Fußverkehrsstadt?

Das ist ja kein „Entweder oder“, sondern ein „Sowohl als auch“. Münster wird immer eine fahrradfreundliche Stadt sein, ist aber längst auch auf dem Weg zur Fußverkehrsstadt. Denn jede Verkehrsart, die im Alltag unserer Bürgerinnen und Bürger eine Rolle spielt und für einen nachhaltigen Verkehrsmix sorgt, ist etwas, das Politik vor Ort voranbringen sollte. Wir berücksichtigen schon jetzt den Fußverkehr in allen konzeptionellen Entscheidungen. Eine Verkehrsplanung, in der für Fußgänger nur die „Restflächen“ übrigbleiben, ist eine Verkehrsplanung von gestern.

Abschließend noch eine persönliche Frage: Wo sind Sie gerne zu Fuß unterwegs?

Kurz gesagt: fast überall. Als Präsident des Deutschen Städtetages bin ich jedes Jahr in dutzenden Städten zu Gast. Und trotz vieler Termine und Sitzungen nehme ich mir immer die Zeit, jede Stadt mindestens einmal zu Fuß zu erkunden – ob früh morgens beim Joggen oder bei einem Spaziergang am Abend. Das Wesen und die Besonderheiten einer Stadt entdeckt man am besten zu Fuß. So unmittelbar ist das mit anderen Verkehrsmitteln kaum möglich.

Wir danken Ihnen, Herr Lewe, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten!

Interview vom 31. Oktober 2024, Patrick Riskowsky (FUSS e.V., Projektleiter)
Eine gekürzte Fassung ist abgedruckt in der Zeitschrift "MobiLogisch", Ausgabe 4/24.