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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 93/2018

Ausgangslage

Im Jahr 2002 wurden in der Schweiz die Begegnungszone eingeführt. Sie ersetzte die Wohnstraße. Das Regime blieb unverändert. Es gilt Tempo 20 km/h, Fußgängervortritt auf der gesamten Fläche und das Parken ist nur auf den markierten Flächen zugelassen. Die Anforderung wurden jedoch deutlich verringert. Es ist lediglich ein Verkehrsgutachten zu erstellen, welches die Funktionsfähigkeit darlegt. Dieses ist der zuständigen Signalisationsbehörde zur Bewilligung vorzulegen. Spätestens ein Jahr nach Einführung ist ein Kontrollbericht zu erstellen. In der Regel beschränkt sich dieser auf den Nachweis, dass die maximal zulässige Geschwindigkeit von 20 km/h nicht regelmäßig oder deutlich überschritten wird. In den letzten 15 Jahren sind in der Schweiz ca. zweitausend Begegnungszonen entstanden.

Die Einrichtung von Begegnungszonen in Wohnquartieren ist in der Stadt Basel kein reiner Verwaltungsakt, sondern bedarf einer Initiative aus der Bevölkerung. Die Stadt unterstützt und berät die Initianten. Sie stellt aber zur Bedingung, dass in einer konsultativen schriftlichen Umfrage zwei Drittel der Anwohner sich für die Einrichtung aussprechen. Nur mit dieser hohen Zustimmung und weiteren Bedingungen (wenig befahrene Strasse, angrenzende Häuser weisen Bezug zum Strassenraum auf) erfolgt eine Umsetzung. Dank diesem breit abgestützten Vorgehen konnten 90% der geplanten Begegnungszonen ohne Einsprachen umgesetzt werden.

Die Stadt Basel hat für ihre 85 Begegnungszonen (Stand Feb. 2017) eine umfassende Wirkungskontrolle erstellen lassen. Der Fokus lag auf Begegnungszonen in Wohnquartieren. Nicht untersucht wurden Begegnungszonen in Geschäftsbereichen und zentralen Orten.

 

 

Inhalt

Erstmals wurden Begegnungszonen in Wohnquartieren in einer größeren Zahl systematisch analysiert. Dazu wurden verschiedene Methoden angewandt:

  • Online-Fragebogenerhebung bei allen Haushalten in Begegnungszonen;
  • Umfangreiche Bestandsaufnahme von Merkmalen in den Begegnungszonen;
  • Interviews mit Anwohnenden in ausgewählten Begegnungszonen und mit involvierten Abteilungen aus der Bewilligungsbehörde;
  • Auswertung von bestehenden Statistiken.

Mit den verschiedenen methodischen Ansätzen sollte die Wirkung erfasst, die Zielerreichung dokumentiert und Empfehlungen für die Einführung künftiger Zonen erarbeitet werden. Folgende Wirkungen konnten nachgezeichnet werden:

  • Der Straßenraum wird als angenehmer und sicherer Aufenthaltsort wahrgenommen.
  • Das geltende Verkehrsregime unterstützt die gegenseitige Rücksichtnahme.
  • Das Geschwindigkeitsniveau ist in Begegnungszonen in der Regel angemessen. Es geschehen weniger Unfälle.
  • Der Straßenraum wird häufig als Begegnungsort und Spielraum genutzt.
  • Nachbarschaftsbeziehungen können einfacher aufgenommen und gepflegt werden.
  • Kinder können ihr Verkehrsverhalten mit verschiedenen Verkehrsarten leichter einüben.
  • Begegnungszonen begünstigen die Sesshaftigkeit von Anwohnern.
  • Familien mit Kindern schätzen die Möglichkeiten von Begegnungszonen besonders.
  • Mit Begegnungszonen geht kein höherer Unterhalts- und Betriebsaufwand einher.

Aufgrund der Wirkungen wurden Empfehlungen für die künftige Umsetzung formuliert.

Bewertung

Erstmals wurde eine umfassende Analyse der Wirkung von Begegnungszonen durchgeführt, welche nicht nur auf die Tempomessung fokussiert. Die methodische Breite und inhaltliche Tiefe ist bemerkenswert. Da wurde akribisch alles untersucht, was sich auf die Funktionsfähigkeit, insbesondere auch die sozialen Aspekte einer Begegnungszone, auswirkt.

Je Thema wurden verschiedene Ausprägungen definiert und versucht statistisch signifikante Aussagen und eine Typisierung zu machen:

  • Straßenraumgestaltung: sehr umfangreiche Detailanalyse (Ausdehnung der Zone / Breite der Fahrgasse / Steigung / Vorhandensein von Gehsteigen, Engstellen, Vorgärten, Vorplätzen, Bewuchs usw.)
  • Zoneneingang
  • Parkierung (einseitig, beidseitig, wechselseitig, keine)
  • Ergänzende Verkehrsberuhigungsmassnahmen
  • Möblierung (Sitzgelegenheiten, Pflanztröge, private Möblierung)
  • Angrenzende Nutzung (Platz, Spielplatz, Detailhandel, Gewerbebetrieb, Zufahrt zu rückwärtigen Grundstücken, Garagen)
  • Betriebsform (Einbahn, Teilfahrverbote)
  • Verkehrsmengen / Geschwindigkeiten (v85)

Mit einem Fragebogen wurden zudem folgende Aspekte abgefragt:

  • Zufriedenheit (verschiedene Aspekte)
  • Nutzerverhalten
  • Verkehrsverhalten
  • soziale und nachbarschaftliche Beziehungen

Fragen gab es auch zum Prozess von der Idee bis zur Einführung, zur Mitwirkung und der Zeitachse. Weitere Aspekte wurden in Tiefeninterviews vertieft analysiert.

Die Unfallanalyse zeigte, dass sich im Betrachtungszeitraum (6 Jahre, 85 Begegnungszonen) kaum Unfälle ereigneten. 47 der 50 Unfälle sind Sachschäden, vornehmlich Parkschäden. Dreimal wurde eine Person verletzt.

Es konnte nachgewiesen werden, dass das Verkehrsregime „Begegnungszone“ weit über die verkehrlichen Aspekte hinaus positive Wirkung zeigt. Die nachbarschaftlichen Beziehungen konnten gestärkt, der soziale Zusammenhalt verbessert und die Strasse konnte als Begegnungsort nicht nur von Autos, sondern vor allem von Menschen wieder etabliert werden. Eine Typisierung der Begegnungszonen ist nur in Ansätzen gelungen, da jede Zone als Spezialfall gelten kann; zu umfangreich ist die Zahl der relevanten Parameter.

Titel:

Stadt Basel Begegnungszonen in Wohnquartieren Wirkungskontrolle, Basel, Juni 2017, 123 Seiten

Verfasser:

Pestalozzi & Stäheli, Ingenieurbüro Umwelt Mobilität Verkehr

Bezug:

Download bei begegnungszonen.ch → Über die Begegnungszonen → Literatur und Links

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2018. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Thomas Schweizer, Fussverkehr Schweiz.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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