In das Straßenverkehrsrecht kommt Bewegung: Umweltschutz, Gesundheit und Stadtqualität sollen neue Grundlagen sein. Und es gibt Chancen für eine Reform, die in vielen Paragrafen Mobilitätsbarrieren einreißt.

Nur wenigen Menschen ist das Straßenverkehrsgesetz (StVG) vertraut, denn im Alltag auf dem Gehweg und der Fahrbahn hat man fast nie direkt mit ihn zu tun. Aber indirekt prägt es den Verkehr stark. Sein Paragraf 6 legt fest, welche Ziele Verordnungen des Bundesverkehrsministers haben dürfen – nicht zuletzt die Straßenverkehrsordnung (StVO). Bisher schreibt das Gesetz nur zwei Ziele vor: die Sicherheit und die „Leichtigkeit“ des Verkehrs. Letztere wird in vielen Einzelvorschriften und in der Praxis von Verkehrsbehörden oft so ausgelegt, dass Menschen am Steuer es leicht haben müssten – auch wenn das Leben für andere dadurch schwerer wird.

Der Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 hatte festgelegt, dass das Verkehrsrecht künftig auch andere Ziele verfolgen soll: Klima, Umwelt, gutes Stadtleben und Gesundheit. Es dauerte aber eineinhalb Jahre, bis Verkehrsminister Wissing auf starken Druck endlich das in die Wege leitete, was FDP, Grüne und SPD vereinbart hatten: Im Juni 2023 stellte er einen entsprechenden Entwurf für das Straßenverkehrsgesetz vor.

Laut Koalitionsvertrag von 2021 soll auch die Straßenverkehrsordnung so geändert werden, „dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“.

 

Für Wissing hat Tempo weiter Vorrang

Auch dazu legte Verkehrsminister Wissing im Juni 2023 einen Entwurf vor. Er gibt den Behörden vor Ort einige zusätzliche Möglichkeiten, zum Beispiel Tempo 30 statt 50 auf einzelnen Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen anzuordnen und Zebrastreifen anzulegen. Der Entwurf ist aber alles andere als ein Durchbruch, denn es bleibt beim Grundsatz: Tempo ist auf Hauptstraßen die Regel; alles andere hat nur in definierten Ausnahmefällen Vorrang.

Die Verkehrsministerinnen der Bundesländer sind längst weiter. 2020 hatten wir beim FUSS e.V. die Schrift „Verkehrsrecht auf die Füße stellen“ – 66 Schritte zu einer Reform“ veröffentlicht. Kurz darauf setzte die Verkehrsministerkonferenz (VMK) eine AdHoc-Kommission zum gleichen Thema ein, deren Vorschläge die VMK im April 2021 billigte. Sie ging schon damals deutlich weiter als Wissing jetzt: mehr Tempo 30, besser gesicherte Kreuzungen und angemessene Bußgelder waren wichtige Punkte. Dieser Vorschlag enthält längst nicht alles, was wir uns wünschen – aber kommen sie ins Gesetz, dann ist das ein großer Schritt hin zu einer fußverkehrsfreundlichen Reform. Änderungen zur StVO werden beim Verkehrsminister erarbeitet; der Bundesrat muss zustimmen. In 10 der 16 Länder stellen SPD, Grüne und Linke die Verkehrsminister, auch in großen wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen. Wir appellieren daran, dass sie für ihren Beschluss von 2021 kämpfen!

Zum Fußverkehr gibt es noch Formulierungen in der Straßenverkehrsordnung, die fast wörtlich der Reichs-StVO von 1937 entsprechen. Diese diktierte: „Fahrbahnen und andere nicht für den Fußgängerverkehr bestimmte Straßenteile sind auf dem kürzesten Wege quer zur Fahrtrichtung ... zu überschreiten.“ In der heute gültigen StVO heißt es: „Wer zu Fuß geht, hat Fahrbahnen … auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten.“ Das ist seit 2013 genderneutral formuliert, aber ansonsten im Wortlaut und Geist von 1937, den ein Mitautor der Verkehrsordnung so skizzierte: „Der Langsame hat sich dem Schnelleren unterzuordnen.“

 

Das Verkehrsrecht braucht mehr Barrierefreiheit!

Besonders hart betroffen sind davon alle Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Wer schlechter als andere sehen, hören, gehen, Informationen verarbeiten und reagieren kann, kommt mit der Dominanz schnellen Fahrverkehrs noch schlechter zurecht als andere. Mindestens ein Fünftel der Menschen sind von solchen Einschränkungen betroffen – manche für ein paar Wochen nach einem Sportunfall, andere im hohen Alter, viele lebenslang. Die StVO-Reform sollte besonders ihre Mobilität sichern und erleichtern.

 

Downloads: Vorschläge aus Politik und FUSS e.V.