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Fünf Kläger aus drei Bremer Stadtteilen haben sechs Jahre lang über drei Instanzen Klage gegen das rechtswidrige Gehwegparken mit PKW geführt. In ihren Straßen wird wie bundesweit in vielen Kommunen unter Duldung der Straßenverkehrsbehörden verbotswidrig gegen § 12 Abs. 4 und 4a StVO auf beiden Seiten aufgesetzt geparkt.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich mit der Frage befasst, ob und in wel­chem Umfang die o.g. Vorschriften den Anwohnern von Straßen ein eigenes (subjektives) Recht vermitteln, um gerichtlich erfolgreich dagegen vorgehen zu können. Das Gericht stellt hierzu fest, dass diese Regelungen nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch das individuelle Interesse von Anwohnern an einer bestimmungsgemäßen Gehwegnutzung schützen. Der Rechtsschutz ist begrenzt auf den Gehweg der eigenen Straßenseite im Straßenabschnitt bis jeweils zur Einmündung der nächsten Querstraße.

Ein Einschreiten der zuständigen Straßenverkehrsbehörde hat zur Voraussetzung, dass erhebliche Beeinträchtigungen durch verbotswidrig parkende PKW verursacht werden. Eine Nichtnutzbarkeit des Gehwegs oder eine unzumutbare Beeinträchtigung müssen noch nicht vorliegen. Das BVerwG verlangt eine Einzelfallbetrachtung für das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung und legt Kriterien fest, die als Anhaltspunkte herangezogen werden können. Maßgeblich sind vor allem die verbleibende Gehwegbreite, die Länge der Verengung, verbleibende Ausweichmöglichkeiten sowie die Dauer der Beeinträchtigungen. Auch besonders schutzwürdige Personengruppen, wie Rollstuhlfahrer, Fußgänger mit Kinderwagen oder Personen mit Kindern an der Hand sind besonders in den Blick zu nehmen. Eine konkret definierte Restgehwegbreite, deren Unterschreitung zwangsläufig zu einer erheblichen Beeinträchtigung führt, kann nicht pauschal festgelegt werden. Erforderlich ist immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände. Im Fall der Kläger hat das BVerwG eine erhebliche Beeinträchtigung angesichts eine verbleibenden Gehwegbreite von etwa 1,40 m und eines dauerhaften straßenweiten Gehwegparkens bejaht.

Wird eine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt, haben Anwohner einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob gegen das verbotswidrige Parken eingeschritten werden muss. Im Falle der Entscheidung eines Nichteinschreitens oder eines unzureichenden Einschreitens steht den Anwohnern der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz offen.

Angesichts geschätzt zehntausender verbotswidrig parkender PKW in Bremen ist die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung befugt, zunächst eine Bestands­aufnahme aller vom Gehwegparken betroffenen Straße vorzunehmen und nachfolgend ein Umsetzungskonzept für ein Vorgehen festzulegen. Dieses Konzept muss aber tatsächlich und nachvollziehbar von der Straßenverkehrsbehörde verfolgt werden. Die Ansprüche der Kläger können zwar vorläufig zurückgestellt werden, um weitaus negativer betroffener Straßen zu ordnen (z.B. mit Gehwegbreiten von 70 cm). Das BVerwG unterstreicht aber, dass eine weitere Duldung des bisherigen verbotswidrigen Zustands oder eine anhaltende Verzögerung den schutzwürdigen und -bedürftigen Interessen der Kläger nicht gerecht wird. In diesem Falle werden sie ihre Ansprüche gerichtlich auch ohne die Umsetzung eines Konzeptes u.a. im einstweiligen Rechtsschutz voraussichtlich durchsetzen können.

Liegen - anders als wie bei den Klägern - besondere individuelle Beeinträchtigungen von Betroffenen zur Nutzung des Gehwegs vor, kann auch eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen und damit eine verbundene Pflicht der Behörde zum sofortigen Einschreiten. Dies bejaht das BVerwG bei unzumutbaren Beeinträchtigungen. Unzumutbar sind immer Verletzungen von Grundrechten. Verursacht das verbotswidrige Parken, dass z.B. die Gehwegnutzer auf die Straße auszuweichen müssen, kann dies gemäß dem BVerwG einen Verstoß gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1GG (Leib, Leben) bedeuten. Solchen Gefahren sind insbesondere Kinder ausgesetzt. Rollstuhlfahrer können Gehwege oftmals in ihrem Quartier gar nicht mehr nutzen. Dies kann einen Verstoß gegen das Grundrecht nach Art. 3 Abs. Satz 2 GG darstellen („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“). Zusätzlich können Grundrechte von Rollstuhlfahrern nach Art. 2 Abs. 2 GG S. und Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) rechtswidrig betroffen sein. Erfolgreiche Klagen von Vertretern aus diesen vulnerablen Gruppen dürften dazu führen, dass der Schutzbereich gegen das Gehwegparken räumlich ausgeweitet wird.

Mit dem Urteil des BVerwG ist eine Grundlage geschaffen worden, dass Anwohner mit Erfolg gegen das verbotswidrige Gehwegparken gerichtlich vorgehen können. Damit kann bundesweit die Okkupation des Gehweges durch PKW wieder rückgängig gemacht werden, was einen Impuls für eine Mobilitätswende in vielen Städten geben wird.

Autor: stud. jur Julius Schröder, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BBG und Partner Rechtsanwälte

Quelle

BVerwG Urteil v. 6.6.2024 - 3 C 5.23

 

Gehwegparken - die wichtigsten Fakten und Fragen

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