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Tatsächlich ist Radfahren auf dem Gehweg das Gegenteil von Verkehrswende: Es macht die Fahrbahn für Autos frei. Es ist Kannibalismus im sogenannten Umwelt“verbund“ aus Fuß-, Rad und öffentlichem Verkehr – zu Lasten der Mehrheit und der Verletzlichsten darin. Es liefert Verteidigern alter Verhältnisse das Argument frei Haus: „Die Radler versorgen sich doch selbst mit Raum. Also brauchen sie keinen auf der Fahrbahn.“

Manche Menschen verteidigen das Gehwegradeln trotzdem – mit dem sehr simplen Argument: Es ist Rad, also ist es gut. Was suggeriert: sonst wäre es Auto. Das ist statistisch falsch: Wege mit dem Satz lösen viel häufiger Wege zu Fuß, mit Bus oder Bahn ab als Wege mit dem Auto.

Gehwegradler selbst denken über so etwas selten nach. Wir nennen zehn gängige Gründe und Erklärungen für ihr Verhalten, die uns einfallen und aufgefallen sind.

  1. Erste oder letzte Meter zum und vom Haus oder Radständer. Schieben würde Sekunden kosten und erscheint irgendwie anstrengend.
  2. Linke Fahrbahnseite. Man will nicht nach rechts wechseln, wo man auf der Fahrbahn oder den Radweg radeln könnte.
  3. Fahrbahn grob gepflastert und damit „unzumutbar“. Das ist auf dem Niveau der Dame, die dem Altstadtpflaster Schuld gibt, wenn sie dort in High Heels stolpert.
  4. Stau auf der Fahrbahn will überholt werden.
  5. Langsamere auf dem Radweg wollen überholt werden.
  6. Paketbotin, Zeitungsbote oder Flaschensammler finden die fünf Meter vom Bordsteinparkplatz bis zum Haus oder zum Papierkorb unzumutbar.
  7. Böse Autos
  8. Böse Busse
  9. Böse andere Radler (zu schnell, zu langsam, zu viele)
  10. Wir sind die Guten, die Welt gehört uns.

Vier Alternativen zum Gehwegfahren

Manche fassen alles zusammen in dem Satz: Es ist die Infrastruktur, die Radfahrer auf den Gehweg treibt. Das will Radler verteidigen, ist aber ein unfreiwillig sehr böser Satz über sie. Er beschreibt sie nämlich als hirnlos, willenlos und nicht selbst lenkend, sondern allein von der Infrastruktur gesteuert und ohne eigene Entscheidungskraft. Wäre ein Radler tasächlich so, müsste man ihm das Fahrzeug wegnehmen.

Wir dagegen halten Radler für meist erwachsene, gesunde, körperlich wie mental bewegliche Menschen und trauen ihnen zu, zum illegalen Gehwegradeln eine der mindestens vier Alternativen zu wählen: die Fahrbahn, den Gehweg schiebend, eine andere Route, ein anderes Verkehrsmittel.

Gehwegradler vollenden das Auto-Projekt

Würden bessere Radwege das Problem lösen? Wir denken: Sie könnten es an stark-autodominierten Straßen erleichtern. Aber nicht einmal hier komplett und auf vielen anderen Straßen gar nicht. Inzwischen radeln manche selbst dort auf Gehwegen, wo es gleich nebendran gute Radwege gibt. Welchen Druck und Zwang wir stattdessen richtig finden (und welchen unwirksam), steht hier.

Zum Schluss eine Anmerkung zu der Behauptung, das störe und gefährde doch keinen. Wir halten diese Behauptung für falsch. Es gibt schon zu viele von Fahrzeugen dominierte Räume in der Stadt. Räume zum sicheren, unbesorgten, spontanen Gehen und Spielen fehlen dagegen. Gehwegradler vermehren genau diese Räume. Sie wandeln solche entspannten Räume zu Verkehrsräumen um, die vom Auto noch verschont sind. Sie lösen es nicht ab und verbessern die Welt, sondern sie vollenden das Auto-Projekt der Verkehrsdominanz in allen Stadträumen.