Legales Gehwegparken: Bremens Coup mit dubiosen Mitteln
Der Senat von Bremen hat alle anderen Landesregierungen getäuscht, damit sie der leichteren Legalisierung von Gehwegparken zustimmten. Die Vorschrift kam durch, aber für Verkehrsbehörden ist sie kaum anwendbar: Es drohen extremer Aufwand und hohe Rechtshürden.
Am 21. März 2025 hatte der Bundesrat eine gewichtige Tagesordnung. Am Anfang standen zwölf Reden zur Grundgesetzänderung für das Multi-Milliarden-Paket. 34 Tagesordnungspunkte später ging es am Ende der langen Sitzung um ein scheinbar dröges Thema: Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung, dazu ein Antrag von Verkehrsminister Wissing nebst 45 Änderungswünschen von Bundesländern zur Minister-Vorlage – und einem Antrag, der damit nichts zu tun hatte.
Der Sonderling unter den Anträgen kam vom Land Bremen. Sein Senat war 2024 vom Bundesverwaltungsgericht verordnet worden, es müsse endlich gegen das chronische illegale Gehweg-Parken vorgehen. Das aber passt vor allem Bremens Innensenator Ulrich Mäurer nicht, dem die Ordnungsbehörden unterstehen. Für ihn ist steht seit vielen Jahren die Befriedigung des sogenannten Parkdrucks höher als die Straßenverkehrsordnung, die zum Parken den rechten Fahrbahnrand vorschreibt und es damit auf dem Gehweg verbietet.
Sicher hätte Mäurer gern auf vielen Straßen das Schwarzparken legalisiert, aber das verbot meist die Verwaltungsvorschrift: „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt.“ Die beiden rechtlich nicht verbindlichen, aber allgemein anerkannte Regelwerke RASt 06 und EFA 02 der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen nennen dafür eine nötige Gesamtbreite von 2,5 Metern, die es in Bremen oft nicht gibt. Drunter ist der oben zitierte „unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr“ nicht möglich, also Gehwegparken nicht legalisierbar.
Da sich aber der Bundesrat ohnehin mit den Verwaltungsvorschriften beschäftigen musste, sahen Mäurer und seine Kollegin Özlem Ünsal vom Verkehrsressort die Gelegenheit, die Vorschrift unauffällig aufzuweichen. Dazu beantragten sie zwei zusätzliche Sätze: „Für die Beurteilung des unbehinderten Verkehrs sind die Länge der Verengung, das Verhältnis der für das Parken auf Gehwegen in Anspruch genommenen zur gesamten Gehwegfläche, die Dichte des Gehwegverkehrs und die Ausweichmöglichkeiten zu berücksichtigen. Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände.“ Die beiden Senatsmitglieder von der SPD schafften es irgendwie, den brisanten Antrag unauffällig an den Koalitionspartnern Grüne und Linke vorbei zu bugsieren – diese hätten sonst kaum zugestimmt, und dann hätte Bremen den Antrag gar nicht erst stellen können. Nach der Abstimmung waren Grüne wie Linke empört, aber es war zu spät
Beschlossen im Reste-Paket
Die Abstimmung im Bundesrat war bemerkenswert. Die 45 Änderungsanträge wurden alle mit Nummern aufgerufen und abgestimmt, bis auf solche, die sich durch Zustimmung zu anderen erledigt hatten. Nur der Solo-Antrag aus Bremen kam nicht ausdrücklich zur Abstimmung – warum auch immer. Stattdessen rief Bundesratspräsidentin Rehlinger zur letzten Abstimmung im letzten Tagesordnungspunkt der langen Sitzung im Paket „alle nicht erledigten Ziffern“ auf. Das waren zwei Beschlüsse ohne rechtliche Wirkung sowie jener Bremer Antrag. Warum ausgerechnet er nicht einzeln und explizit abgestimmt wurde, wissen wir nicht.
Er kam auf diese Weise durch. Damit hoffen Mäurer und Ünsal, sie können das illegale Parken in legales verwandeln, was die Gehenden der Stadt auf Dauer um einen Großteil der für sie angelegten Wege bringen würde. Wir bezweifeln allerdings stark, dass das funktioniert. Denn die neue Vorschrift ist so fehlerträchtig und nebulös, wie sie eingebracht und beschlossen wurde.
Eine Rechtsprechung, die es so gar nicht gibt
Für rasches Durchwinken täuschte Bremen sogar zweifach alle anderen Landesregierungen im Bundesrat. Sein Senat schrieb zur Begründung des Antrags, er sei „im Sinne der aktuellen Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts formuliert. Es gibt aber gar keine aktuelle Rechtsprechung zur amtlichen Legalisierung von Gehwegparken. Beim Bundesverwaltungsgericht ging es stattdessen 2024 um die vom Bremer Senat vernachlässigten Pflicht, die Gehwege vom Missbrauch durch illegales Parken freizubekommen – rechtlich ein ganz anderes Thema. Das Gericht nannte Maßstäbe zur Beurteilung, wann illegales Parken sich besonders schlimm auswirkt und vorrangig bekämpft werden muss – und wann es umgekehrt nicht ganz so schlimm ist, also später als anderswo unterbunden werden kann. Bremen bog Maßstäbe des Gerichts für „illegal, aber für Betroffene unterschiedlich schlimm“ einfach um zu „legalisierbar, wenn nicht allzu schlimm“.
Täuschung 2: Bei der angeblichen „wörtlichen Übernahme dieser Rechtsprechung“ übernahm Bremen einiges Wichtige gerade nicht. Es ließ exakt diejenigen Gerichts-Maßstäbe aus, die als Teile der Verwaltungsvorschrift das Legalisieren von Gehwegparken besonders schwer, sehr oft sogar unmöglich machen würden.
Als erstes Maß für die Unverträglichkeit von Schwarzparken hatte das Bundesverwaltungsgericht die „verbleibende Gehwegbreite“ genannt. Es quantifizierte diese selbst nicht. Aber es gibt die oben genannten Regelwerke mit ihrem Mindestmaß von 2,5 Metern. Viel zu viel für Mäurer und Ünsal, da viele Gehwege in Bremen schon ohne Parken schmaler sind. Diese Forderung des Gerichts ließ man also besser weg.
Ihrem Polit-Parkdruck fiel auch das wichtigste soziale Kriterium des Urteils zum Opfer. Das Gericht verlangte Rücksicht auf die Folgen des Gehwegparkens „für Personen im Rollstuhl und im Kinderwagen“ sowie für „Personen mit einem Kind an der Hand“. Sollen sie den nötigen Begegnungsraum auf dem Weg behalten, dann ist es meist unmöglich, Gehwegparken zu erlauben. Darum kommen diese Gruppen bei Mäurer, Ünsal und jetzt in der Verwaltungsvorschrift nicht vor – kinderfeindlich, elternfeindlich und behindertenfeindlich zugleich.
Nebulöse Maßstäbe
Aber auch die Maßstäbe, die es auf Bremens Antrag in die Verwaltungsvorschrift schafften, sind ziemlich diffus.
Wir betrachten zuerst zwei, die faktisch dasselbe bedeuten: die „Länge der Verengung“ des Gehwegs und die „Ausweichmöglichkeiten“ bei Gegenverkehr zu Fuß. Für beides gibt es kein verbindliches Maß. Welche „Länge der Verengung“, welchen Weg zur Ausweichbucht und welche Wartezeit dort darf man der alten Dame mit Rollator zumuten, wenn ihr eine Familie mit Zwillingskinderwagen entgegenkommt? Wieviel Rückwärtsfahrt kann man von einem Rollstuhlfahrer verlangen, wenn er zu spät erkennt, dass er in einer Sackgasse mit Autos links und Mülltonnen vor sich gelandet ist? Und welchen Ausweichraum braucht die Siebenjährige, die nur auf dem Gehweg radfahren darf? All das bietet Anlass für sehr viel Streit. Es macht sich auch politisch nicht gut: Wenn Verkehrsbehörden lange Engstrecken für Rollstuhlfahrerinnen oder Väter mit Kleinkind rechtfertigen, dann wirkt das rücksichtslos und rüpelhaft gegenüber Kindern, Eltern und älteren Menschen.
Was ist dichter Gehwegverkehr?
Das nächste Nebelfeld wartet beim Kriterium „Dichte des Gehwegverkehrs“, das vor einer Legalisierung von Gehwegparken beachtet werden muss. Dazu müsste man diese Dichte als erstes messen (was wir vom FUSS e.V. sehr begrüßen würden). Aber nicht nur kurz zu einer stillen Mittagsstunde. Sondern morgens vor Schul- und Arbeitsbeginn, nach Feierabend wieder, in Kneipenvierteln auch spät abends sowie auf Straßen, die zu einem Park führen, an schönen Sonntagen. Und rund ums Bremer Weserstadion auch vor und nach Werder-Heimspielen.
Dabei stellt sich ein hübsches methodisches Problem: Wo Gehwege heute illegal zugeparkt sind, da gehen weniger Leute, als wenn die Wege frei wären. Zahlen für illegal blockierte Wege sind wertlos, um ihre legale Blockade zu rechtfertigen. Wer die relevante Verkehrsdichte feststellen will, muss zuerst die Wege vom Schwarzparken befreien.
Selbst wenn Bremen und andere Städte sich dazu durchringen, müssen sie die Zahlen noch interpretieren. Bei welcher „Dichte des Gehwegverkehrs“ ist Parken noch zuträglich? Es gibt kein verbindliches Maß, sondern weit auseinanderklaffende Vorstellungen – stark davon geprägt, ob das favorisierte Verkehrsmittel ein Rollator oder ein Range-Rover ist. Kurz: Beim Thema „Dichte des Gehwegverkehrs“ sind Messaufwand und gerichtliches Streitpotenzial unermesslich.
Ein dubioses Verhältnis
Auch das nächste Gerichtskriterium ist wenig hilfreich: „das Verhältnis der für das Parken auf Gehwegen in Anspruch genommenen zur gesamten Gehwegfläche“. Der Autor dieser Zeilen gesteht, dass er es schon im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht verstanden hat: Ist ein Gehweg fünf Meter breit, dann kann bei wenig Fußverkehr ein 50 zu 50-Verhälnis von Park- und Gehraum verträglich sein. Hat der Weg aber nur einen Meter Breite, dann ist Parken schon unverträglich, wenn die Autos nur ein Prozent davon blockieren und 99 zum Gehen lassen. Kurz: Die pure Verhältniszahl sagt gar nichts; es braucht doch wieder die von Mäurer und Ünsal unterschlagene absolute Gehwegbreite.
Wenig hilfreich zur Park-Legalisierung ist auch ein weiterer Satz, der aus dem Urteil in die Verwaltungsverordnung transponierte wurde: „Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände.“ Wer damit Parken rechtfertigen will, müsste gesamtwürdigend darlegen, warum das Auto-Stehen höhere Würdigung verdient als das unbehinderte Gehen, Rollstuhl- und Kinderwagenbenutzen von Menschen.
Weitere Hindernisse: Barrierefreiheit, Straßengesetze, Straßenverkehrsordnung
Selbst wenn das gelänge, stehen dem Zulassen von Gehwegparken weitere rechtliche Hindernisse. Gesetze im Bund und allen Ländern verbieten die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Diese Diskriminierung ist massiv, wird ihnen die existenznotwendige Mobilitätraum zugeparkt. Dagegen können sie individuell klagen, aber das können auch anerkannte Verbände.
Nicht in Bremen, aber immerhin in der Hälfte aller Bundesländer stehen dem Gehraum-Klau die Straßen- und Wegegesetze entgegen. Sie enthalten in Baden-Württemberg, Brandenburg Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen den wortgleichen Satz „Im Rahmen des Gemeingebrauchs hat der fließende Verkehr den Vorrang vor dem ruhenden.“ Auch Fußverkehr gehört zum fließenden.
Damit kommen wir zur Mutter aller Parkerlaubnisse am Straßenrand, dem „Laternenparker-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts von 1966. Damals ging es noch nicht um Gehwege, sondern um die Frage: Darf man sein Privatfahrzeug überhaupt überall dort im öffentlichen Raum stehenlassen, wo dies nach den Verkehrsregeln möglich und nicht ausdrücklich verboten ist?
Das Gericht erlaubte es damals – ausgerechnet Bremen hatte sich dagegen gewehrt. Die weitblickenden Richter wiesen aber auch darauf hin, dass diese Erlaubnis nicht für ewig in juristischen Stein gemeißelt ist: „Die Begriffe der Gemeinverträglichkeit und der Verkehrsüblichkeit sind naturgemäß inhaltlichen Wandlungen unterworfen, die sich aus der fortschreitenden Entwicklung der Verkehrsverhältnisse ergeben. Die mit ihrer Hilfe zu ermittelnden Grenzen des zulässigen verkehrsrechtlichen Gemeingebrauchs lassen sich daher nicht ein für allemal festlegen… Sie müssen vielmehr jeweils nach den von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit unterschiedlichen Verkehrsbedürfnissen bestimmt werden.“
Das Gericht dachte damals wohl vor allem an rollenden Autoverkehr, der die Verträglichkeit des Parkens am Straßenrand einschränke. Aber inzwischen ist auch das Bedürfnis nach hinreichend leichtem Fußverkehr anerkannter als vor 59 Jahren. Fast jedes Haus muss zu Fuß erreichbar sein. Der Anspruch auf Auto-Abstellraum vor jeder Tür ist dagegen so unberechtigt und unerfüllbar wie der Wunsch, es müsse vor jedem Haus eine ständig bediente Bushaltestelle geben.
Gehwegparken nur, wenn es “zwingend nötig” ist
Einer anderen Bestimmung, die einst zur Privilegierung des Autos erdacht wurde, steht heute der Legalisierung von Gehwegparken entgegen. Es ist der Satz aus dem § 45 Abs. 9 der Straßenverkehrsordnung: „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.“ Das gilt auch da, wo der Raum für den Fußverkehr auf dem Gehweg beschränkt wird. Solche Beschränkungen sind nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nur dort möglich, wo eine „Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs“ gegeben ist. Der Begriff „Sicherheit des Verkehrs“ meint, dass Rechtsgüter wie Leib, Leben und Sachwerte nicht gefährdet werden sollen. Der Begriff „Ordnung“ meint nach herrschender Rechtsmeinung die sogenannte „Leichtigkeit des Verkehrs“, den auch das Bundesverwaltungsgerichts als „Flüssigkeit“ auslegt.
Bremens Senat spricht viel von “Parkdruck”. Aber Parkdruck gefährdet Rechtsgüter wie Leib und Leben. Für den Staat gibt diese Rechtslage keinerlei „zwingende Erfordernis“ her, Gehwegparken anzuordnen. Dafür fehlt schlicht die Voraussetzung, die eine solche Anordnung nach § 45 Abs. 9 StVO bräuchte.
Fazit: Gehwegparken ist nur schwer legalisierbar
Das Fazit aus all dem: Mit der neuen Vorschrift ist der Versuch, Gehwegparken legal anzuordnen, aufwendig als vorher und rechtlich sehr fragwürdig. Will eine Verkehrsbehörde dies versuchen, braucht sie hohe Risikobereitschaft und muss viel Arbeitskraft binden. Viel einfacher ist es, Gehwege für ihren eigentlichen Zweck zu bewahren.
12.04.25