Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 117/2023

Ausgangslage

In der Stadtplanung bedeutet Walkability die Erreichbarkeit von Einrichtungen zu Fuß. Dabei soll die Stadt nicht nur als Verkehrskorridor angesehen werden. Vielmehr geht es auch um Anregung zum Gehen und um Gesundheitsaspekte. In den USA ist der Begriff schon länger und intensiver eingeführt. Immobilienfirmen bewerben zum Beispiel ihre Wohnangebote mit einem Walk Score (siehe www.walkscore.com). Dessen Anwendung auf europäische Stadtstrukturen zeigte jedoch in einer Studie in Stuttgart keine signifikante Übereinstimmung hoher Walkability-Werte mit höheren Fußwegeanteilen bzw. niedriger Walkability-Werte mit geringen Fußwegeanteilen der Bewohner:innen.

Die drei Autoren der hier vorgestellten Untersuchung sind mit dem Thema Walkability bereits seit einiger Zeit unterwegs. In der mobilogisch 2/2023 stellten wir, ebenfalls im Kritischen LiteraturDienst Fußverkehr, ihr selbstentwickeltes digitales Tool „OS-WALK-EU“ zur Messung der Walkability vor. Es ist als open-source tool erhältlich.

Inhalt

Zu Beginn werden die drei bisherigen Ansätze zur Unterteilung der Komponenten der Walkability vorgestellt. Alle weisen objektive und subjektive Merkmale auf. Vor Beginn der Datenerhebungen entschieden sich die drei Autoren für einen „Mixed-Methods“-Ansatz, genannt „ILS-Walkability-Index“: Datentechnisch objektivierbare Kriterien werden so weit wie möglich mit offenen und freien Datenquellen und Softwareprodukten automatisiert. Das Programm liefert weitgehend automatisiert flächendeckend kleinräumige Erkenntnisse auf Ergebniskarten. Die so erzielten Ergebnisse aus zum Beispiel Defizitgebieten können bei Bedarf mit weiterführenden, aufwändigeren Methoden, wie etwa vor-Ort-Begehungen, betrachtet werden.

Das Konzept des Index’ besteht aus vier Teilkomponenten:

  1. der Kreuzungsdichte als Indikator für die Durchlässigkeit des Wegenetzes. Diese Dimension zeigt, wie weit sich die Bewohner: innen vom Zentrum des Wohnquartiers aus innerhalb von fünf Minuten fortbewegen können
  2. der prozentualen Verteilung der Flächennutzungen wie Wohnen und Gewerbe als Indikator der Nutzungsmischung. Diese Dimension benennt den Anteil an Grünflächen in dem bei 1. entstandenen Gebiet
  3. dem Anteil der Verkaufsfläche in Gewerbe- und Einzelhandelsgebieten als Ziele für fußläufige Mobilität. Diese Dimension erfasst die Distanzen zu den wichtigsten Einrichtungen in der Wohnumgebung. (Kultur, Bildung, Gastronomie, Service, Einzelhandel)
  4. der Einwohner:innendichte.

Die vier Teilkomponenten werden gewichtet addiert und als Walkability-Index dargestellt.

Das Ranking der Großstädte

In der mit dem genannten Tool durchgeführten Untersuchung wurden die 16 bevölkerungsreichsten Großstädte Deutschlands hinsichtlich ihrer Fußverkehrsfreundlichkeit bewertet und verglichen.

Im zweiten Schritt wurden die Ergebnisse der 16 Städte ins Programm eingegeben. Das Ranking der 16 deutschen Großstädte erfolgt bevölkerungsgewichtet. Je dichter das Wohnquartier besiedelt ist, desto stärker fließt es in den städteweiten ILS-Walkability-Index ein.

Spitzenreiter ist die Stadt Frankfurt am Main. Mit einer mittleren Bevölkerungsdichte, der guten Ausstattung mit Einrichtungen wie Supermärkten und Restaurants und einer überdurchschnittlichen Durchgrünung der Wohnquartiere liegt Frankfurt am Main vor Stuttgart, München und Berlin. Dortmund hat die niedrigste Walk­ability und liegt hinter der sächsischen Landeshauptstadt Dresden auf dem letzten Platz. Das Angebot an Einrichtungen, die Durchlässigkeit des Fußwegenetzes sowie der Anteil an Grünflächen sind in Dortmund unterdurchschnittlich.

Im letzten Schritt diskutieren die Autoren anhand der Gewinner- und der Verliererstadt die Methode, Ergebnisse und suchen nach Ursachen, warum die Städte sich so und nicht anders entwickelt haben. Aus Platzgründen hier nur jeweils der Zusammenhang zwischen dem Walkability-Index und der Anzahl der Wege zu Fuß pro Tag:

In Dortmund gehen im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten die Bewohner:innen weniger häufig zu Fuß. Nicht nur die Walkability fällt niedrig aus, sie legen sie im Durchschnitt auch nur 0,81 Wege pro Tag zu Fuß zurück. Analog dazu bestätigt der sogenannte Driving-Cities-Index, dass Dortmund mit Rang 10 zu einer der autofreundlichsten Städte weltweit gehört. Frankfurt am Main ist nicht nur die Großstadt mit der höchsten Walkability in Deutschland, es werden auch tatsächlich viele Wege zu Fuß zurückgelegt: 1,05 Wege gehen die Frankfurter:innen durchschnittlich an einem Tag.

Bewertung

Die vorgestellte Methode mit ihrem automatisierten Verfahren unter Verwendung öffentlich zugänglicher Daten hat eindeutig arbeitsökonomische Vorzüge. Für ein Städteranking oder dem grundsätzlichen Erkennen von Gebieten mit schlechten Gehangeboten und Gehmöglichkeiten ist es ein gutes Werkzeug.

Ein ergänzender Leitfaden, der systematisch aufzeigt, welche arbeitsaufwändigen, „händischen“ Schritte und Methoden sich bei systembedingten Lücken im Angebot des Tools anbieten, wäre ein gutes Zusatzangebot.

Titel:

Wie fußgängerfreundlich sind deutsche Großstädte? Neue Ergebnisse aus der Walkability-Forschung; in: Raumforschung und Raumordnung (2023) 81/4, 15 Seiten.

Verfasser:

Julian Schmitz, Stefan Fina, Christian Gerten.

Bezug:

Oekom-Verlag, Open Access über doi.org/

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2023. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Stefan Lieb.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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