Rezension aus der MobiLogisch - Zeitschrift für eine nachhaltig bewegte Welt, Ausgabe 120/2024

Ausgangslage

Die in Teilen sehr emotional geführte interne Debatte wie wir uns als Fußgängerschutzverein zum Radverkehr stellen, wird vielen noch in Erinnerung sein. Deutlich in der Diskussion wurde „Rad- und Fußverkehr gemeinsam auf einer Verkehrsfläche sind nur bedingt verträglich“. Die Broschüre des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) „Rad- und Fußverkehr – gemeinsam oder getrennt“ stellt genau auf diese potentielle Konfliktsituation ab und trägt durch Ergebnisse aus Forschung und Befragungen zur Versachlichung dieser Diskussion bei. Dabei wendet sich die Broschüre an Verkehrsplaner und -planerinnen.

Inhalt

Bereits im Vorwort zur Broschüre stellt der Präsident des DVR klar, „während Erkenntnisse rund um die Sicherheit des Radverkehrs inzwischen zunehmend Verbreitung finden, muss der Fußverkehr noch stärker ins Bewusstsein vieler Entscheiderinnen und Entscheider gerückt werden“.

Die angeführte Verkehrsunfallstatistik von 2022 zeigt nicht nur auf, wie stark Radfahrende und Zufußgehende Opfer von Verkehrsunfällen werden, sondern auch, dass rund 7 % (332) der schwer verletzten Zufußgehenden bei einem Unfall mit einem Rad Fahrenden verunglückten. Bei den Leichtverletzten liegt dieser Anteil bei gut 12 % (2.534), in Summe sind es 11 % der zu Fuß gehenden Verunglückten, die mit Fahrrädern kollidieren. Die Dunkelziffer dürfte darüber hinaus höher liegen. Abgestellt wird in der Betrachtung nicht auf die Schuldfrage, sondern die Beteiligungsart, was das Ausmaß in den Vordergrund stellt und zu einer Versachlichung beiträgt. Mit entscheidend in der Frage der Verträglichkeit der beiden Verkehrsarten ist aber auch die Bedeutung des subjektiven Sicherheitsempfindens. Eine repräsentative Forsa-Umfrage ergab, dass sich 53 % der Zufußgehenden von Fahrradfahrenden beeinträchtigt fühlen. Im Vergleich angeführt wird dabei das Verhältnis von Zufußgehenden zu E-Scooter-Benutzern (44 %), was das hohe Konfliktpotential zwischen Radfahrenden und Zufußgehenden verdeutlichen soll.

Im zweiten Teil der Broschüre werden Faktoren aufgezählt, die Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr auf gemeinsam genutzten Flächen begünstigen:

  • unterschiedliches Geschwindigkeitsniveau bzw. zu hohe Geschwindigkeiten des Radverkehrs,
  • geräuschloses Annähern des Radverkehrs,
  • unvermittelter Richtungswechsel oder Stehenbleiben von Zufußgehenden, spontanes Verhalten von Kindern,
  • Konflikte mit Tieren (z. B. Hundeleinen),
  • abgestellte Fahrzeuge (Fahrräder, E-Scooter) auf dem Gehweg,
  • Breiteneinschränkungen durch Hindernisse auf dem Gehweg (z. B. Aufsteller, Außengastronomie),
  • eingeschränkte Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit von Personen mit Mobilitätseinschränkungen (z. B. Blinde und stark Seheingeschränkte),
  • größere Anzahl an Ein- oder Ausfahrten

Dabei wird auch auf die regelwidrige Nutzung der Verkehrsflächen durch beide Verkehrsarten hingewiesen. Für die regelwidrige Nutzung von Gehwegen durch Radfahrende werden Erklärungsansätze angeführt, die das Verhalten erklären aber nicht rechtfertigen.

Den bekannten Möglichkeiten einer gemeinsamen Führung gemäß den Vorschriftenzeichen (VZ) der StVO wird anschließend ein eigenes Kapitel gewidmet: vom gemeinsamer Geh- und Radweg VZ 240, über getrennte Geh- und Radwege VZ 241, die Fußgängerzone mit und ohne Zusatz Radfahrer frei bis hin zum Zeichen für den Gehweg VZ 239. Im Exkurs wird die Benutzungspflicht von Gehwegen bzw. Möglichkeit von radfahrenden Kindern und einer Begleitperson aufgeführt.

Das folgende Kapitel stellt auf die Vorschriften in den Planungsregelwerken ab. Ob eine gemeinsame Führung von Rad- und Fußverkehr grundsätzlich noch verträglich ist, hängt u. a. von der nutzbaren Gehwegbreite und der Anzahl der zu Fuß Gehenden und Rad Fahrenden während der stark frequentierten Tageszeit ab. Breiten der Fläche, Summe und Anteil der Verkehrsteilnehmer erscheinen in einer übersichtlichen Grafik.

Entscheidend bei der Beurteilung einer gemeinsamen Rad- und Fußverkehrsführung sind Aussagen in den Regelwerken zu einer generellen Nichteignung, die im Einzelnen in diesem Kapitel zusammengefasst aufgeführt sind: Straßen

  • mit intensiver Geschäftsnutzung,
  • mit einer überdurchschnittlich hohen Nutzung durch besonders schutzbedürftige Personen (z. B. Kinder, ältere oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen),
  • im Zuge von Hauptverbindungen des Radverkehrs,
  • mit starkem Gefälle (> 3 %),
  • mit nutzbaren Gehwegbreiten von weniger als 2,50 m,
  • mit einer dichteren Folge unmittelbar an (schmale) Gehwege angrenzender Hauseingänge,
  • mit zahlreichen untergeordneten Knotenpunkts- und Grundstückszufahrten bei beengten Verhältnissen sowie
  • mit stärker frequentierten Bus- oder Straßenbahnhaltestellen

Das Kapitel endet mit dem Appell an Planer und Planerinnen, wann immer möglich, eine gemeinsame Führung des Rad- und Fußverkehrs zu vermeiden und stattdessen Flächen des ruhenden Verkehrs zugunsten von Fuß- und Radverkehr umzugestalten.

Der nächste Abschnitt ist ein Exkurs in die 2022 von der FGSV verabschiedete E Klima (Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen).

Auch hier sind die wesentlichen Forderungen in Spiegelstrichen aufgeführt:

  • Die Belange des Öffentlichen Verkehrs, Rad- und Fußverkehrs sind generell gegenüber den Belangen des fließenden und ruhenden Kfz-Verkehrs zu priorisieren. Zusätzlich sind die Ansprüche des Lade-, Liefer- und Wirtschaftsverkehrs zu berücksichtigen. •
  • Zum Erreichen von Klimaschutzzielen sollen für den Rad- und Fußverkehr durchgehend regelkonforme und attraktive Netze mit der zugehörigen Anbindung an Infrastruktur- und Kultureinrichtungen, Wohnen und Gewerbe angeboten werden. •
  • In beengten Situationen und bei Flächenkonflikten sind auch einzelne Abschnitte (Orientierungslänge 50 bis 150 m) mit reduzierter Fahrbahnbreite möglich.

Auch dieser Abschnitt endet mit einem Appell: Setzen Sie sich in Ihrer Kommune für die Erreichung der Klimaschutzziele ein!

Der letzte Abschnitt der Broschüre zeigt weitere Planungsgrundsätze und Maßnahmen auf. Mit dem Einleitungssatz „Ein für den Radverkehr freigegebener Gehweg ist keine geeignete Radverkehrsanlage“ werden Alternativen aufgezeigt:

  • Basis jeder Planung sollte immer eine dezidierte Umfeldbetrachtung sein. Sind sensible Einrichtungen / zahlreiche Ziele zu Fuß Gehender in der Nähe (z. B. Schulzentren, Einkaufszentren, stark frequentierte Freizeitziele), ist von erhöhten Ansprüchen des Fußverkehrs auszugehen und dementsprechend keine gemeinsame Führung von Rad- und Fußverkehr vorzusehen.

Gute Netzplanung für den Radverkehr:

  • Prüfung aller Möglichkeiten zur Umsetzung geeigneter Radverkehrsanlagen. Ist dies nicht umsetzbar, Prüfung der Möglichkeiten einer parallelen Routenführung für den Radverkehr (z. B. durch Einrichtung von Fahrradstraßen)
  • Umsetzung lückenloser, durchgängiger Netze für den Radverkehr mit geeigneten Überquerungsmöglichkeiten
  • Berücksichtigung von Schulweghauptrouten bei der Abwägung und Planung
  • Prüfung der Eignung von Radverkehrsanlagen für (jüngere) Schülerinnen und Schüler.
  • Geeignet sind Radwege, die sicher über Knotenpunkte geführt werden.
  • Ausloten und Ausnutzen jeglicher Möglichkeiten zur getrennten Führung von Rad- und Fußverkehr unter Berücksichtigung der Belange schwächerer Personengruppen (vgl. E Klima). Hierzu zählen z. B.:
  • Umnutzung / Umgestaltung des Seitenraumes (z. B. Wegnahme von Parkplätzen), um einen Radweg zu ermöglichen
  • Geschwindigkeitsreduktion zur Ermöglichung von Radfahren im Mischverkehr
  • Fahrstreifenreduktion / Anpassung der Breiten (z. B. überbreite Fahrbahn anstelle von 2 Fahrstreifen), um Protected Bikelanes oder Radfahrstreifen in ausreichender Breite anlegen zu können
  • Einrichtung von gemeinsamen Geh- und Radwegen mit Zweirichtungsbetrieb ausschließlich auf Außerortsrouten mit sehr geringem Fußverkehrsanteil
  • Berücksichtigung der Belange der Barrierefreiheit bei jeder Führungsform

Bewertung

Die Broschüre, die sich an Verkehrsplaner in Stadt und Land richtet, trägt wesentlich dazu bei, dem Fuß- und dem Radverkehr die Bedeutung zuzumessen, die sie aus Sicherheits-, Stadtplanungs- und Klimaaspekten heute haben müssen. Deutlich herausgestellt ist, dass da, wo immer es möglich ist, beide Verkehrsarten ihren eigenen Verkehrsraum zugewiesen bekommen müssen, und gegenüber dem mobilen Individualverkehr in der Raumplanung zu bevorzugen sind. Die durch Vorschriften und Forschungsergebnisse begründete Ausrichtung der Broschüre könnte, wenn sie umgesetzt würde, einen Meilenstein auf dem Weg zu einer gerechteren Verkehrsraumaufteilung werden.

Titel:

Rad- und Fußverkehr – gemeinsam oder getrennt?, Themenserie Verkehrssicherheit für Entscheider in Stadt und Land, August 2023, 10 Seiten.

Verfasser:

Redaktion: Tanja und Jens Leven, bueffee GbR, Wissenschaftliche Begleitung: Prof. Jürgen Gerlach, Universität Wuppertal

Bezug:

Broschüre des DVR UK / BG Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) e. V. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.dvr.de Download

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der MobiLogisch - Zeitschrift für eine nachhaltig bewegte Welt, August 2024. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der MobiLogisch.

Autor dieser Ausgabe: Wolfgang Packmohr.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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