Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 4/1993
Ausgangslage
Dauernd oder zeitweise mobilitätsbehindert sind rund 30 % der Bevölkerung. Zu dieser Gruppe werden Körper- und Wahrnehmungsbehinderte, Personen mit Orientierungsschwierigkeiten, Analphabeten, Personen mit geistigen Behinderungen oder Störungen, im weiteren Sinne auch ältere Menschen, Kleinkinder, Klein- und Großwüchsige, Übergewichtige und Personen mit Gepäck oder Kinderwagen gezählt. Mobilitätsbehinderte legen 45 % ihrer Ortsveränderungen im Stadtbereich zu Fuß oder mit dem Rollstuhl zurück und nutzen öffentliche Verkehrsmittel häufiger als nicht mobilitätsbehinderte Menschen. In dem von der Projektgruppe „Behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums“ erarbeiteten Handbuch werden Hinweise für eine behindertenfreundliche Umgestaltung von Straßenräumen gegeben. Entsprechende Maßnahmen sollen darauf abzielen, allen Personen eine aktive und von fremder Hilfe möglichst unabhängige Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen.
Inhalt
Das Prinzip der hindernisfreien Verkehrsteilnahme soll - ausgehend von Teillösungen - schrittweise verwirklicht werden. Behindertenfreundlich gestaltete Wegeabschnitte sollen sich in der Summe zu einem flächendeckenden System zusammenfügen. Es sind dabei Lösungen zu finden für Gehwege, Überquerungsstellen und Plätze, die Überwindung von Höhenunterschieden, die Anlage von ÖV-Haltestellen, die Einrichtung von Orientierungshilfen und die Gestaltung von Freizeitanlagen.
Hindernisfreie, taktil und visuell abgesetzte Gehwege:
Empfehlungen zur lichten Breite der Gehwege beziehen sich auf die EAE 85 (Mindestbreite 1,50 m, Soll-Breite 2,00 m, entlang wichtiger Straßen 3,0 m). Die Wege sollen wahrnehmbare Begrenzungsstreifen und/oder einen Bord besitzen, bei gemischter Nutzung des Straßenraums Begrenzungsstreifen oder Muldenrinnen. Zwischen Geh- und Radweg soll ein wahrnehmbarer Begrenzungsstreifen von 50-60 cm liegen. Bei Gehwegabsenkungen wird eine verbleibende Bordhöhe von 3 cm als Kompromiss zwischen den Bedürfnissen Sehbehinderter und Rollstuhlfahrer angesehen. In Straßenräumen mit Trennprinzip werden Teilaufpflasterungen anstelle von Bordabsenkungen empfohlen. Rampen zum Ausgleich von Höhenunterschieden sollen max. 6 % Längsneigung haben und nach 6 m Zwischenpodeste erhalten. Treppenstufen müssen ausreichende Helligkeitskontraste bieten. Verweilzonen sind vermehrt mit Bänken (inklusive Handläufen) und Aufstellflächen für Rollstuhlfahrer auszustatten. Haltestellen sollen möglichst ein Buskap haben und in ein Leitsystem einbezogen sein.
Knotenpunkte und Überquerungsstellen:
In "zumutbaren Entfernungen" sind Überquerungsstellen einzurichten; Gehwegabsenkungen sollen für Radfahrer und Fußgänger unterschiedlich stark vorgenommen werden. Für die Querung übergeordneter Straßen werden Mittelinseln (mind. 3 m breit) oder Lichtsignalanlagen Vorgeschlagen. An LSA soll die Überquerung mit einer Fortbewegungsgeschwindigkeit von 0,8 m/s - 1,0 m/s innerhalb einer Grünphase ohne Unterbrechung möglich sein. Für Blinde und Sehbehinderte sind Zusatzeinrichtungen mit akustischen und taktilen Freigabesignalen, akustischen Orientierungssignalen und taktilen Aufmerksamkeitsfeldern vor den LSA vorzusehen. Über Einmündungen nachgeordneter Straßen werden Teilaufpflasterungen mit deutlichem Rauheits- und Helligkeitskontrast empfohlen.
Orientierungssysteme:
Ein flächendeckendes "Blinden-Wege-System" wird nicht als notwendig erachtet; einige systematische Hilfen reichen nach Ansicht der Projektgruppe für eine selbstständige Fortbewegung aus. Ein Orientierungssystem besteht aus Leitstreifen (50-60 cm breite taktile Orientierungshilfe mit akustischer und visueller Unterstützung), Hinweisstreifen (mind. 90 cm breit) und Aufmerksamkeitsfeldern (90 cm x 180 cm) als punktuellen Hinweisen vor Überquerungsstellen, Signalgebern, Treppenantritten und Wegabzweigungen. Auf ausreichende Rauheitskontraste entlang der Wege und Helligkeitskontraste insbesondere bei Einbauten ist zu achten. Zur Ausstattung von Plätzen und Zielpunkten gehören beleuchtete sowie in Blindenschrift ausgeführte Infotafeln und Stadtpläne in einer Sichthöhe von 1,30 m.
Bewertung
Bei der Ausarbeitung der Empfehlungen haben mehrere VerbandsvertreterInnen beratend mitgewirkt. Das Handbuch wurde relativ breit an Betroffenengruppen verteilt. Es richtet sich darüber hinaus an MitarbeiterInnen von Bauämtern, Planungsämtern und freien Büros. Für diese Adressaten dürfte, die umfangreiche Zusammenstellung der in diversen Empfehlungen und. Normen verstreut vorliegenden Gestaltungshinweise nützlich sein. Über diese Grundlagen hinausgehende Vorschläge finden sich im Handbuch relativ selten. Positiv zu bewerten ist der über die Gestaltung von Wegen hinausreichende Ansatz. Im Literaturverzeichnis finden sich vorwiegend Angaben zu Richtlinien und Normen, weniger zu weiterführender Fachliteratur.
Titel:
Bürgerfreundliche und behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums. Ein Handbuch für Planer und Praktiker. - (Reihe: Direkt, Nr. 47).Frankfurt a. M. 1992, 13,0 S., Abb,., Tab., Lit.verz.
Verfasser:
Projektgruppe "Behindertengerechte Gestaltung des Straßenraums" der Bundesanstalt für Straßenwesen
Herausgeber:
"Bundesministerium für Verkehr
Bezug:
Restexemplare mit Begründung des fachlichen Verwendungszwecks kostenlos erhältlich beim BMV, Postfach 200100, Ref. A 26, Frau Esse]-Becker, 5300 Bonn 2 oder über den Buchhandel für 40 DM (FMS Fach Media Service Verlag)
Impressum:
Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Februar 1993. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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