Da muss Goethe her: „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“ Nichts suchen oder ein Nichts suchen? Lyrik ist mehrdeutig. Doch im Gedicht offenbart sich gleich ein Sinn des Nicht-Suchens: Der frei schweifende Blick findet das Blümchen im Schatten, das ihn unerwartet und ungesucht umso mehr berückt: „Wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön.“ Der Rest sind dann doch wieder Ziele.
200 Jahre später wandelt der Philosoph Pascal Bruckner im Philosophie-Magazin auf Goethes mentaler Spur: „Manch wunderbarer Morgen ist ein Aufruf, hinauszugehen und sich im Labyrinth der Welt zu verlaufen. Das Draußen unter freiem Himmel ruft. Wozu? Das verrät es nicht. Man muss es durchqueren, um es zu entdecken. Immer wieder neu.“ Auch in der Stadt. Bruckner will „ziellos über den Asphalt spazieren, ohne Bezugspunkte, mit faszinierender Unmotiviertheit, dem Unbedeutenden ebenso wie dem Spektakulären den Blick schenken“.
Man muss nicht einmal etwas entdecken. Sondern man kann einfach nur laufen wollen, wie der flanierende Literat Walter Benjamin wusste: „Gehen ist nicht nur der Ausdruck des Wunsches, ein Ziel zu erreichen, sondern seine Realisierung.“ Sobald man losgeht, ist man da. Was bedeuten kann: weit weg vom Alltag und seinem Korsett, wie Thomas Manns Strandwanderer im „Zauberberg“: „Du gehst und gehst… du wirst von solchem Gange niemals zu rechter Zeit nach Hause zurückkehren, denn du bist der Zeit und sie ist dir abhanden gekommen.“
Gehen um des Gehens willen – der frischeste Appell dazu kommt wieder von Pascal Bruckner: „Gehen wir zu Fuß, mit leichten Gepäck. Wir wollen das Gehen feiern, das nirgendwo hingeht, die sich unmerklich wandelnden Horizonte, das innerste Verzeichnis unserer eingeschlafenen Muskeln, das Kribbeln der tausend Lebensfasern in unseren Beinen. In unserem Jahrhundert ist Fußgängern eine größere Zukunft beschieden als den Fahrern in ihrer geradlinigen Monotonie. Geschwindigkeit ist ein bequemer Tod, wir lassen lieber unbequeme Wege wiederauferstehen.“