Rund 35 Milliarden Kilometer pro Jahr legen wir in Deutschlands zu Fuß zurück. Das sind pro Mensch 425 Kilometer – so viele wie von Dresden nach Frankfurt am Main. Und in der Statistik kommen viele Wege noch gar nicht vor.

Denn diese Zahl umfasst nur Wege, die vom Start bis zum Ziel überwiegend zu Fuß zurückgelegt werden. Aber auch die anderen Verkehrsteilnehmer gehen, bevor und nachdem sie fahren. Ihre Fußwege führen zu und von Haltestellen, Park- und Abstellplätzen; mit ihnen steigt die Geh-Leistung in Deutschland um etwa 75 Prozent [2]. Der Durchschnittsmensch im Land geht zwei Kilometer pro Tag.

Mit keinem anderen Verkehrsmittel verbringen wir in Städten so viel Fortbewegungszeit:

 

Verkehrsmittelnutzung pro Tag (Durchschnitt) [2]

Das bedeutet auch: Es sind in unseren Städten in der Regel mehr Menschen auf den Beinen, als zugleich entweder hinterm Steuer sitzen, auf dem Rad, in Bus und Bahn oder im Auto als Passagiere fahren.


Gehen unterschätzt: Modal Split und Verkehrsleistung

Zwei verbreitete Messgrößen gibt es für die Bedeutung von Verkehrsmitteln – und in beiden kommt der Fußverkehr schlechter weg, als er ist. Die erste Größe ist der Modal Split. Er versucht auszusagen, wie viele Wege jeweils mit bestimmten Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden. Nach der Studie „Mobilität in Deutschland“ legen Auto- und Motorradfahrer (Passagiere jeweils nicht mitgerechnet) 43 Prozent aller Wege zurück, Fußgänger 22 Prozent [3]. Es folgen im Auto oder auf dem Motorrad Mitgenommene (14 %), Radfahrer (11 %) sowie Bahn- und Busbenutzer (10 %).

Der Modal Split hängt stark von der Siedlungsform ab. Das eine Extrem sind die großen Städte: In Berlin und Hamburg werden mehr Wege zu Fuß als hinterm Steuer zurückgelegt; auch der Bahn- und Busanteil liegt hier mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Das andere Extrem sind ländlich-kleinstädtische Regionen. Von allen Bundesländern den höchsten Auto-Anteil an allen Wegen, dagegen den niedrigsten bei Fahrrad und ebenfalls niedrige bei Füßen, Bahn und Bus hat das Saarland, wo die Gemeinden im Schnitt keine 20.000 Einwohner haben. Zudem leben hier mehr Menschen im eigenen Heim als sonst in Deutschland, was Orte dehnt und Wege verlängert.

Modal-Split-Berechnungen tendieren dazu, das Gehen zu unterschätzen. Das fängt bei den Befragungen an: Kurze Geh-Wege werden manchmal vergessen, oder bei den geh-typischen Wegeketten im Quartier werden einzelne erreichte Ziele nicht gezählt. Noch mehr Gehleistung aber fällt aus der Modal-Split-Statistik, weil sie nur nach dem „hauptsächlichen Verkehrsmittel“ fragt, dem für das längste Wegstück. Fußwege von und zu Haltestellen, Bahnhöfen oder Parkplätzen kommen gar nicht vor. Nur wenige Studien erheben auch sie – und kommen bei der Einzelbetrachtung dieser Wege-Etappen auf einen Fuß-Anteil von 57 Prozent für zehn Stadtgebiete in Europa und Kanada [4].


Ein seltsamer Leistungsbegriff: Der Aufwand zählt, nicht das Ergebnis

Geradezu unbedeutend wirkt das Gehen bei Betrachtung einer zweiten Größe – der „Verkehrsleistung nach Personenkilometern“. Hier bringt es der Fußverkehr mit seiner Gesamt„leistung“ von 35 Milliarden Kilometern scheinbar nur auf 2,8 Prozent am Gesamtverkehr [5].  Dagegen hat der Luftverkehr einen Anteil von 4,9 Prozent, nicht zuletzt aufgrund eines statistischen Privilegs: Während bei den anderen Verkehrsmitteln fast alle gezählten Wege innerhalb Deutschlands verlaufen, werden dem hiesigen Luftverkehr auch die internationalen Flüge zugeschlagen, die den Großteil aller Kilometer ausmachen. 61,4 Milliarden Kilometer flogen die Menschen in und aus Deutschland insgesamt im Jahr 2015. Dominant in dieser Statistik ist das Auto. Mit ihm werden mehr als drei Viertel aller Kilometer im Land zurückgelegt.

Diese Zählung offenbart aber ein eigenwilliges Verständnis von Leistung. Gemessen wird nicht der Zweck allen Verkehrs – das Erreichen von Zielen. Sondern gemessen wird der Aufwand. Darum zählt ein Weg nach Mallorca tausendmal mehr als ein Weg in die Schule. Ein 20-Kilometer-Pendler „leistet“ zwanzigmal mehr als die Kollegin, die ins gleiche Büro einen Kilometer zu Fuß spaziert. Misst man Ziele, nicht Kilometer, dann ist das Auto nur halb so effizient wie „leistungs“stark: Mit 75 Prozent aller Kilometer bringt es die Menschen zu 37 Prozent aller Ziele. Umgekehrt ist der Fußverkehr achtmal so wirksam, wie es  diese Statistik suggeriert: Fußgänger legen 2,8 Prozent aller Kilometer zurück, aber schaffen damit 22 Prozent aller Weg bis zum Ziel.

 
Studien zur Mobilität und Verkehr

Das Verkehrsverhalten von Deutschen und anderen erhebt und analysiert seit Jahrzehnten das Institut Socialdata, gegründet und geleitet von Werner Brög. Er hat zahlreiche Phänomene im Fachblatt mobilogisch dargestellt. Eine Auswahl im Netz:

Mehr Fuß-Etappen als alles andere

Für viele Wege ist das Auto entbehrlich – ohne Einschränkung der Mobilität

Die meisten Wege beginnen oder enden daheim – und viele sind kurz

Auch ohne neue Infrastruktur könnten viele Menschen umsteigen

Eine internationale Studie zeigt: Der: Fußverkehr wird oft unterschätzt – und wer geht, gewinnt Zeit für seine Gesundheit

In Autos sitzt meist nur ein Mensch; viele Fahrten sind kurz und das Durchschnittstempo ist niedrig

Wien ist vorbildlich. Hier dominieren Bahnen, Busse und Fußwege den Verkehr

 

 

Quellen

[1] Bundesministerium für Verkehr Verkehr in Zahlen 2017/2018  S.346

[2] Werner Brög: Das hauptsächlich vernachlässigte Verkehrsmittel in der Mobilitätsforschung

[3] Bundesministerium für Verkehr Mobilität in Deutschland S.13

[4] Werner Brög: Den Fuß-Etappen auf den Fersen: Eine Analyse bringt neue Erkenntnisse

[5] Bundesministerium für Verkehr Verkehr in Zahlen 2017/2018 S.222 und 225