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Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 9/1995

Ausgangslage

Der Wiener Universitätsprofessor Hermann Knoflacher legt mit seinem Buch eine Übersicht über Planungsprinzipien für den Fußgänger- und Radverkehr vor. Er wendet sich dabei insbesondere an Verkehrsplaner. Dabei spart er nicht mit deutlichen Worten: "Die Unfähigkeit des Planers ist daran abzulesen, in welchem Ausmaß er Fußgeherbedürfnisse vergißt, mißachtet oder nicht adäquat berücksichtigt." Die Aufgabe des Praktikers "ist die Wiederherstellung der alten Fußwegenetze, die im Zuge der vergangenen vier Jahrzehnte der Automanie zerstört oder zerstückelt wurden. Der Planer übernimmt damit die Aufgabe, fundamentale Menschenrechte wiederherzustellen." Und an anderer Stelle: "Wer der qualifizierten Planung für den Fußgeherverkehr ausweicht, disqualifiziert sich daher als Verkehrs- und auch als Siedlungsplaner."

Inhalt

180 von 282 Seiten sowie 74 der 119 Fotos und 95 der 158 Abbildungen sind dem Fussgängerverkehr gewidmet. Im Fussgängerteil nimmt die Darstellung zentraler Ergebnisse von Grundlagenuntersuchungen zur Physiologie des Gehens, unter anderem mit Ergebnissen aus den Studien von Oeding, Schopf und Weidmann, ein breiten Raum ein. Behandelt werden u.a. Platzbedarf, Gehgeschwindigkeiten, Fußgängerdichten und der Energieverbrauch beim Gehen in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern. Daneben werden die verschiedenen Anforderungen, die Fußgänger an die Planung stellen und die aus der Umweg-, Steigungs- und Witterungsempfindlichkeit sowie den ästhetischen Ansprüchen resultieren, mit vielen Abbildungen und Fotos dargestellt.

Knoflacher betont, dass mit der Fußverkehrsplanung sehr viel höhere Anforderungen als mit der Planung für den Autoverkehr verbunden sind. Er nennt vier Kriterienbereiche des "Level of Service", die dabei zu beachten sind:

  • Qualität aus den Umwegfaktoren (Direktheit und Höhenunterschiede)
  • Qualität aus der Verkehrsmenge und Dichte
  • Qualität aus den Breitenverhältnissen und den Begegnungsfällen
  • Qualität des städtebaulichen Umfeldes (Fußwegentfernungen und Umgebungsqualiltät)

Gestaltungsgrundsätze werden für Fußwege, Knotenpunkte, Fußgängerbereiche, Anlagen des öffentlichen Verkehrs und das Innere von Gebäuden formuliert. Daneben wird explizit auf die Berücksichtigung von Bedürfnissen Mobilitätsbehinderter eingegangen. Im Mittelpunkt der Vorschläge stehen die Infrastruktur für den Fußgängerverkehr sowie Gestaltungsemfehlungen für das städtebaulicheUmfeld, in dem sich Fußgänger bewegen. Dabei wird jedoch betont, daß gleichzeitig zur Verbesserung der Situation im Fußgängerverkehr die Verkehre, die Fußgänger stören, verringert werden müssen. So sind v.a. die Geschwindigkeiten und das Fahrtenaufkommen im Autoverkehr zu reduzieren. Dies erlaube es dann auch, Straßen fußgängerfreundlich umzubauen. So sollten Straßen an Kreuzungen auf Gehwegniveau angehoben werden, um das allgemeine Prinzip zivilisierter Gesellschaften, die Rücksichtnahme auf den Schwächeren, zu realisieren. Bei stärkerer Verkehrsbelastung im MIV sollten die Strassen - und nicht die Fußwege - in Tieflage bzw. in Hochlage gebracht werden.

Ein höheres Fußgängeraufkommen stärkt nach Knoflacher die Nahversorgungsstrukturen und ermöglicht so ein Angebot qualitativ höherwertiger Serviceleistungen, wie z. B. eine bessere Beratung und eine Warenzustellung zur Wohnung.

Für verschiedene verkehrspolitische Rahmenbedingungen ("archaische", moderate, zeitgemäße und zukunftsorientierte Bedingungen) werden strategische Empfehlungen formuliert. Selbst unter "archaischen" Bedingungen, bei denen der Pkw-Verkehr wie bisher im Mittelpunkt der Verkehrspolitik und -planung steht, sieht Knoflacher einige Möglichkeiten zur Attraktivitätssteigerung im Fußgängerverkehr: z. B. die Einrichtung von Fußgängerzonen und von Wohnstraßen, die Gestaltung eines von den ÖV-Haltestellen ausgehenden Fußwegenetzes, die Verhinderung des Baus von Fußgängerunterführungen, die Anlage von Mittelinseln als Querungshilfen, der Bau von Gehwegnasen sowie die Einrichtung einer Wegeweisung für Fußgänger.

Bewertung

Das Buch ist engagiert geschrieben. Kritisch ist anzumerken, daß eine Reihe neuerer deutscher und schweizerischer Studien zum Fußgängerverkehr nicht aufgearbeitet wurde. Auch stammen die zitierten empirischen Daten zur Mobilität der Fußgänger z. T. noch aus den 70er und frühen 80er Jahren. Sehr stark in die Tiefe geht Knoflacher bei einzelnen Planungsfragen, wie z. B. der Leistungsfähigkeit von Treppen und Rolltreppen (mit einer Fülle von Abbildungen aus Untersuchungen von Westphal aus dem Jahr 1974, die v.a. für Verkehrsingenieure interessant sein dürften). Zu erwähnen ist das relativ umfangreiche Kapitel zur fußgängerfreundlichen Planung für Mobilitätsbehinderte, das jedoch im wesentlichen auf der Planungsanleitung "Barrierefreies Planen und Bauen im Freistaat Sachsen" aus dem Jahr 1993 basiert. Das Buch ist im Fußgängerteil hilfreich für Verkehrsplaner und planerisch Interessierte, die Grundlagenmaterial zur Planung des Fußgängerverkehrs suchen. Die Kapitel können z. T. auch als eine Art Checkliste für die Planung dienen. Das Buch kann in dieser Hinsicht als eine verkehrsplanerische Ergänzung der VCÖ-Studie "Vorrang für Fußgänger" angesehen werden.

 

Titel:

Fußgeher- und Fahrradverkehr. Planungsprinzipien. - Wien, Köln, Weimar 1995

Verfasser:

Hermann Knoflacher

Bezug:

Böhlau-Verlag, ISBN 3-205-98308-4, Preis: 48 DM

 

Impressum:

Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, August 1995. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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