Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 37/2003
Ausgangslage
Im Jahr 2001 wurden im Rahmen des Münchner Bündnisses für Ökologie innerhalb eines partizipativen Prozesses zehn Leitprojekte für eine ökologische und nachhaltige Stadtentwicklung entwickelt und dem Stadtrat zur Umsetzung empfohlen. Eines dieser Leitprojekte ist das „Stadtviertelkonzept Nahmobilität für die Ludwigs- und Isarvorstadt“. Es hat zum Ziel, die Wege im Stadtteil zu Fuss, mit dem Rad, mit dem öffentlichen Nahverkehr sowie Inline-Skates und Rollern mit Hilfe von wirksamen, einfachen und kostengünstigen Massnahmen attraktiver zu machen.
Die Identifikation und Priorisierung des Handlungsbedarfs geschah unter intensiver Mitwirkung von BürgerInnen, aktiven Gruppen und Vereinen dieses Pilotstadtteils und wurde von zwei externen Büros unterstützt. Die Betreuung auf Seiten der Verwaltung hat das Münchner Planungsreferat (Verkehrsplanung) übernommen. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind in einem Bürgergutachten zusammengefasst.
Inhalt
Partizipativer Prozess: Der stark partizipativ ausgerichtete Planungsprozess unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters umfasste bis zur Erstellung des Bürgergutachtens mehrere Schritte: eine Auftaktveranstaltung, zu der über 100 Vereine, Interessenvertreter, Schulen, Träger öffentlicher Belange und Bürger aus dem Stadtteil eingeladen wurden. Zweitens verschiedene Verfahren zur Identifikation von Problemen und möglichen Maßnahmen im Stadteil. Drittens zwei Bürgerforen, in denen das vorher entworfene Maßnahmenkonzept diskutiert und priorisiert wurde und auf deren Basis das Bürgergutachten erstellt wurde.
Empirische Grundlagen: Der Handlungsbedarf wurde in Form von Stadtteilspaziergängen, mit Hilfe eines öffentlich ausgelegten Projektfaltblatts sowie einer Internet-Seite erhoben. Die sieben durchgeführten Stadtteilspaziergänge wurden inhaltlich und räumlich aufgrund von Hinweisen der vorausgegangenen Auftaktveranstaltung entwickelt und hatten jeweils einen thematischen Schwerpunkt (z.B. „Senioren sind mobil“). Über Internet wurden relativ wenige, dafür ausführliche Anregungen eingegeben. Insgesamt wurden damit 500 Anregungen für Verbesserungen registriert, die in den zwei Bürgerforen nach sechs Teilgebieten diskutiert wurden. Zu einem dieser Foren waren per Zufallsauswahl 700 Einwohner des Stadtteils ab 16 Jahren eingeladen worden, 100 davon zeigten sich interessiert, 35 BürgerInnen nahmen schließlich am Forum teil. Die beiden Foren entwickelten zum einen Grundsätze für ein stadtteilweites Handlungsprogramm, zum anderen bezeichneten sie prioritäre lokale Maßnahmenschwerpunkte.
Stadtteilweites Handlungsprogramm: Hierzu wird die Einführung eines Parkraummanagements zur Eindämmung des Parksuchverkehrs und des Falschparkens sowie die Schaffung von mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr gezählt. Auch die Verlängerung der Freigabezeiten für FußgängerInnen wurde als Anliegen eingebracht, von der Verwaltung allerdings relativiert. Als Stadtteil-Beispiel wird die Einrichtung einer idealtypischen barrierefreien Kreuzung vorgeschlagen. Für Platz(um)gestaltungen wurde eine Prioritätenreihung festgelegt.
Gebietsbezogene Maßnahmenvorschläge wurden mit einer Prioritäteneinstufung versehenen. Ein Teil betrifft den Fußverkehr: Im Bahnhofsviertel sollen die Querungsmöglichkeiten für FußgängerInnen mit hoher Priorität verbessert und Grüne Pfeile von Kreuzungen mit Fußgängerquerungen weggenommen werden. Im Bereich Theresienwiese wird das Ersetzen einer Ampel durch einen Fußgängerüberweg als sinnvoll erachtet. Im Schlachthofviertel sollen zusätzliche Querungsmöglichkeiten geprüft werden. Generell soll die Verwaltung mit Eigentümern über die Öffnung privater Durchgänge für FußgängerInnen verhandeln. Für einen Teil der beim Fußverkehr ausgemachten Probleme gab es in den Bürgerforen stark unterschiedliche Einstufungen der Maßnahmenprioritäten.
Anschließende Schritte: Die Inhalte des Bürgergutachtens sind eine wichtige Grundlage für die Ausarbeitung eines Maßnahmenplans für den Stadtbezirk, der fachlich geprüft, im Bezirksausschuss diskutiert und im Frühjahr 2004 dem Stadtrat zusammen mit dem Bürgergutachten als Entscheidungsgrundlage für umzusetzende Maßnahmen vorgelegt wird.
Bewertung
Das Verfahren des Einbezugs von Interessengruppen wie auch von BürgerInnen in einem Stadtteil ist beispielhaft. Durch das mit zufällig ausgewählten BürgerInnen besetzte Bürgerforum parallel zu dem Bürgerforum mit den bereits engagierten Bürgergruppen und Vereinen konnten die gewonnenen Einschätzungen zum Handlungsbedarf auf eine breite Basis gestellt werden. Die Einschätzungen der BürgerInnen wurden empirisch mit verschiedenen Verfahren erhoben, womit die Problemsituationen differenziert sichtbar gemacht werden konnten. Die ermittelten 500 Vorschläge stellen eine gute und auch räumlich differenzierte Basis für weitere Planungen dar. Es wurden viele Vorschläge für Detailverbesserungen gemacht, aber auch Schlüsselmassnahmen bezeichnet, die eine Voraussetzung für durchgreifende Verbesserungen sind. Die entwickelten Maßnahmenvorschläge haben eine Chance auf Umsetzung, weil sie in den politischen Entscheidungsprozess auf Bezirksebene eingebracht werden.
Titel:
Stadtviertelkonzept Nahmobilität. Mobil im Stadtteil! Bürgergutachten.- München, Februar 2003, 42 S. + Anhang
Verfasser:
Arbeitsgemeinschaft KOMMA.PLAN und stadt+plan: Kerstin Langer, Christiane Humborg, Matthias Fiedler, Paul Bickelbacher
Bezug:
Landeshauptstadt München, Ref. f. Stadtplanung und Bauordnung (Hrsg.), Blumenstr. 31, 80331 München; weitere Infos: www.muenchen.de/buendnis-fuer-oekologie
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Dezember 2003. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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