Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 48/2006
Ausgangslage
Im angelsächsischen Raum hat das Thema „physische Aktivität und Gesundheit“ in der wissenschaftlichen Diskussion einen hohen Stellenwert. Nach einer Phase, in der vor allem der gesundheitliche Nutzen von sportlichen Aktivitäten untersucht wurde, ist jetzt die Alltagsmobilität zu Fuß und mit dem Rad ins Blickfeld des Interesses gekommen.
Der von Lawrence Frank, Sarah Kavage und Todd Litman erarbeitete Bericht „promoting public health through Smart Growth“ (Gesundheitsförderung durch eine sanfte/nachhaltige Stadtentwicklungspolitik) fasst die aktuellen Forschungen auf diesem Gebiet zusammen. Er wurde von Smarth Growth BC, einer Nicht-Regierungsorganisation in der kanadischen Provinz British Columbia herausgegeben und mit Mitteln kanadischer Regierungsstellen (u.a. Health Canada) unterstützt. Smarth Growth BC, hervorgegangen aus einem Projekt der University of Victoria in Vancouver setzt sich für eine finanziell, sozial und ökologisch verantwortungsvolle Raum- und Stadtentwicklung ein und arbeitet dabei mit Bürgergruppen, Unternehmen, Gemeindeverwaltungen und der Öffentlichkeit zusammen.
Inhalt
Die Autoren gehen weiter als die meisten empirischen Studien, die den Zusammenhang von physischer Aktivität und dem Auftreten diverser Krankheitsbilder zum Gegenstand haben. Sie gehen der Frage nach, wie siedlungsräumliche Strukturen das Ausmaß physischer Aktivitäten der Einwohner im Alltag und in deren Folge das gesundheitliche Wohlbefinden beeinflussen und wie man mit Maßnahmen der Verkehrs- und Raumplanung die Gesundheit der Einwohner verbessern kann. Sie greifen damit ein Ziel auf, das eine der Begründungen für die Stadtplanung überhaupt war: die Verbesserung der Hygiene und letztlich der Gesundheit der Bevölkerung durch eine gezielte Nutzungsplanung.
Ein Teil des Berichts behandelt die Einflüsse der Siedlungs- und Stadtstruktur auf das Zufußgehen als einer der wichtigsten Formen physischer Bewegung im Alltag und die Folgewirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Mit dem US-Bericht über physische Aktivität aus dem Jahr 1996 drang es ins Bewusstsein, dass auch mit dem alltäglichen Zufußgehen zur Haltestelle, zu Läden und zur Arbeit die Empfehlung von mindestens 30 Minuten Bewegung am Tag erfüllt werden kann. Zudem stellt sich heraus, dass die Aufklärungskampagnen, die auf Bewegung in Sportvereinen und Schulen und auf Gymnastik setzten, nur begrenzt erfolgreich waren. Viele Experten sehen deshalb das Schaffen günstiger struktureller Voraussetzungen für eine aktive Fortbewegung im Alltag als die beste und die einzig realistische Möglichkeit an, um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern.
In einer Vielzahl von nordamerikanischen Studien wurde seither festgestellt, dass die Siedlungsstruktur stark das Ausmaß physischer Bewegung beeinflusst: In zersiedelten Räumen und Stadtgebieten mit geringer Siedlungsdichte wird ein hoher Anteil der Wegzeiten im Auto verbracht. Festzustellen ist hier entsprechend ein höherer Anteil übergewichtiger und fettleibiger Bewohner. In städtischen Wohnumgebungen mit einer Erreichbarkeit von Zielen (Läden, Parks, Schulen) im fußläufigen Entfernungsbereich nimmt die Autobenutzung dagegen ab und es kann hier unter günstigen Verhältnissen die empfohlene tägliche Dauer von aktiver Bewegung durch Gehen und Radfahren erreicht werden. In Portland liegt z.B. die Gehdauer pro Person in den urbansten Quartieren fast vier Mal höher als in Quartieren mit geringer Urbanität. Als wichtige Faktoren für die Gehbeteiligungsdauer stellten sich in einer Studie aus Atlanta die Siedlungsdichte, die Mischung verschiedener Nutzungen (z.B. für Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholen) und die Netzverknüpfung (street connectivity) heraus. Auch ist statistisch feststellbar, dass die Verfügbarkeit von Frei- und Erholungsräumen und deren Distanzen zur Wohnung die Wahrscheinlichkeit des Zufußgehens erhöht.
Für eine Reihe von siedlungsräumlichen Merkmalen wurden denn auch signifikante statistische Korrelationen mit Gesundheitsindikatoren, wie dem Body Mass Index, dem Ausmaß der Fettleibigkeit, Bluthochdruck und verschiedenen chronischen Erkrankungen festgestellt.
In ihren Handlungsempfehlungen kommen die Autoren zum Schluss, das stadtplanerische Verbesserungen in Siedlungsraum und verkehrsplanerische Maßnahmen grundlegend sind, um Anreize für ein verstärktes Zufußgehen und Velofahren setzen und zu einer geringeren Pkw-Benutzung beizutragen. Die Umsetzung solcher Maßnahmen sollte jeweils durch bewusstseinsbildende Kampagnen begleitet werden, die zu Verhaltensänderungen motivieren. Umgekehrt sollte man bei der Umsetzung von Aktivierungs- und Motivierungskampagnen parallel immer auch erkennbare Veränderungen in der gebauten Umwelt vornehmen.
Bewertung
Der Bericht ist für eine breitere Öffentlichkeit gedacht und damit gut lesbar und attraktiv gestaltet. Gleichwohl berichtet er fundiert über die neuesten empirischen Studien vor allem im angelsächsischen Raum. Die planerischen Schlussfolgerungen sind dagegen sehr „europäisch“ und stützen viele Argumente einer an Nachhaltigkeitszielen orientierten Stadt- und Verkehrsplanung.
Titel
Promoting public health through Smart Growth. Building healthier communities through transportation and land use policies and practices. Prepared for SmarthGrowth BC. Vancouver, 2005(?), 47 Seiten
Verfasser
Lawrence Frank, Sarah Kavage, Todd Lit
Bezug
kostenlos als download: www.smarthgrowth.bc.ca
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, September 2006. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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