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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 71/2012

Ausgangslage

Seit den 1970er Jahren wird in Deutschland versucht, die Situation für Zufußgehende und Radfahrende in Wohngebieten mit verkehrsberuhigten Bereichen und Tempo 30-Zonen zu verbessern. Eine Verkehrsberuhigung von Wohnstraßen, die den hohen Ansprüchen von Bewohnern und Besuchern an den Aufenthalt gerecht wird, existiert allerdings nur inselhaft. Dies liegt auch an den straßenverkehrsrechtlich hohen Anforderungen, die der Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen zugrunde liegen. Anders stellt sich die Situation in der Schweiz dar. Seit dem Jahr 2002 besteht mit der sogenannten Begegnungszone, entwickelt aus dem Pilotversuch einer „Flanierzone“ in Burgdorf – eine kostengünstige Möglichkeit zur Verkehrsberuhigung innerhalb und außerhalb von Wohngebieten. In Deutschland wurde dieses Modell erstmalig im Frankfurter Nordend, einem gründerzeitlichen Wohnquartier, getestet.

Jan Diesfeld untersuchte in seiner Diplomarbeit die Wirkung dieser Begegnungszonen am Beispiel von zwei Frankfurter Straßen. In der vorliegenden Arbeit werden die dabei gewonnenen Erkenntnisse in die aktuelle Diskussion über Begegnungszonen in Deutschland eingeordnet und differenzierte Empfehlungen unterbreitet.

Inhalt

Die umfangreiche Arbeit stellt in einem theoretisch-konzeptionellen Teil die hohen Anforderungen an Wohnstraßen dar, rekapituliert die in Deutschland umgesetzten Konzepte der Verkehrsberuhigung und erläutert die Schweizer Begegnungszone. Der empirische Kern der Arbeit umfasst umfangreiche Analysen der Lenau- und der Rotlintstraße in Frankfurt.

Die untersuchten Fälle werden in Bezug auf folgende Ziele bewertet: Bewegungsmöglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer, Verkehrssicherheit und Attraktivität der Aufenthaltsflächen. Die Analysemethoden umfassten Orterkundungen, Fotoanalysen, Straßenraumbeobachtungen, Verkehrszählungen, Geschwindigkeitsmessungen sowie Anlieger- und Experteninterviews.

Die Ergebnisse werden mit den Wirkungen anderer Formen des verkehrsberuhigten Bereichs (intensive Umgestaltung, Freiburger Konzept, Berliner Umsetzung) sowie mit der Schweizer Begegnungszone verglichen.

Die v85-Geschwindigkeiten liegen in beiden Straßen über 20 km/h. Gründe dafür können sein, dass nicht niveaugleich ausgebaut wurde, geschwindigkeitsdämpfende Maßnahmen nicht in dichter Abfolge vorkommen und Aufenthaltsaktivitäten im Fahrbahnbereich selten sind. In Bezug auf die Verkehrssicherheit wird die Lenaustraße mit ihren Gehwegnasen, einer ausgebauten Mittelinsel und einem separierten Aufenthaltsbereich positiver als die baulich kaum veränderte Rotlintstraße beurteilt.

Eine ausgeprägte Nutzung des gesamten Straßenraums durch Fußgänger war – anders als in verkehrsberuhigten Bereichen mit niveaugleichen Mischflächen an anderen Orten – nicht feststellbar. Die Frankfurter Begegnungszonen gleichen in dieser Hinsicht eher Tempo 30-Zonen. Von Jan Diesfeld wird aber die große Bedeutung der punktuell eingerichteten Gehwegnasen hervorgehoben, an denen sich Zufußgehende einen Vortritt verschaffen. Die Aufenthaltsqualität wird in den beiden Frankfurter Begegnungszonen, wie schon in Berliner verkehrsberuhigten Bereichen und in den meisten Schweizer Begegnungszonen, durch den ruhenden Kfz-Verkehr stark beeinträchtigt. Das Schaffen eines vom Kfz-Verkehr separierten Aufenthaltsbereiches im Bereich Lenaustraße / Nordendstraße ist ein Erfolgsfaktor. Im Vergleich der beiden Straßen schneidet die Lenaustraße mit ihren punktuellen Maßnahmen deutlich positiver als die kaum veränderte Rotlintstraße ab.

In der vorliegenden Form stellt die Lenaustraße gewissermaßen einen „vereinfachten“ verkehrsberuhigten Bereich dar, der Zufußgehenden im Vergleich zu Tempo 30-Zonen deutliche Vorteile bietet. Der Einsatz dieser einfach anzuwendenden, kostengünstigen Form der Verkehrsberuhigung wird in jenen Gebieten empfohlen, in denen verkehrsberuhigte Bereiche bisher nicht zur Anwendung kommen konnten. Jan Diesfeld plädiert deshalb für die Einführung der Begegnungszone in die StVO. Er schlägt vor, in der VwV-StVO zwei Anwendungsbereiche zu unterscheiden: 1. ein niveaugleicher Ausbau, der im Falle von anstehenden Neu- und Umbaumaßnahmen in Straßen vorgenommen wird. 2. eine Umsetzung mit einfacheren, aber flexibel wählbaren Maßnahmen in bestehenden Wohnstraßen.

Er spricht sich für wissenschaftlich begleitete Tests solcher Lösungen in unterschiedlichen Straßenräumen aus, auf deren Basis ein Einsatz- und Maßnahmenkatalog entwickelt werden soll. Nach den Frankfurter Ergebnissen sind die Verringerung der Flächen für den ruhenden Verkehr, gezielte punktuelle Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität (Aufenthaltsbereiche, Sitzgelegenheiten) und der Sicherheit (z.B. Gehwegnasen) geeignete Maßnahmen. Anlieger sollten, wie in der Schweiz, Initiativen zur Einrichtung von Begegnungszonen unterbreiten und bei der individuellen Ausstattung und Möblierung mitwirken können. Zur Einführung der Begegnungszone empfiehlt der Autor begleitende Informationskampagnen. Wirkungskontrollen sollen vorgeschrieben werden.

Bewertung

Das Untersuchungsdesign umfasst mehrere Vergleiche: Die beiden Frankfurter Begegnungszonen werden untereinander und außerdem mit Tempo 30-Zonen, verkehrsberuhigten Bereichen und Begegnungszonen in der Schweiz verglichen. Damit werden die konzeptionellen Unterschiede zwischen diesen Arten der Verkehrsberuhigung elegant herausgearbeitet und zweckmäßige Empfehlungen zum Einsatz der Begegnungszone in Deutschland formuliert.

Der Vergleich mit dem Erfolgsmodell der schweizer Begegnungszone zeigt den hohen Stellenwert einer Planungskultur auf, die Raum für flexible, ortsbezogene Lösungen unter starker Partizipation der Bewohnerschaft zulässt. Das umfangreiche Quellenverzeichnis mit vielen Hinweisen (und Links) auf Materialien auch aus der Schweiz rundet die gelungene Diplomarbeit ab. Die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht, eine Kurzfassung ist aber in Vorbereitung. Ihr kann man jetzt schon viele Leser in den Planungsämtern und -büros wünschen.

 

Titel:

Verkehrsberuhigung mit Begegnungszonen. Analyse und Bewertung eines Verkehrsversuches in Frankfurt am Main. Unveröffentlichte Diplomarbeit TU Dortmund, Fakultät Raumplanung, 2011, 139 S.

Verfasser:

Jan Diesfeld

Bezug:

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Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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