Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 80/2014
Ausgangslage
Die internationale Konferenz Walk 21 ist eine gute Gelegenheit, um sich über neue Aktionsformen, Planungskonzepte und Forschungen auf dem Gebiet des Fußverkehrs zu informieren. In Abhängigkeit von der jeweiligen Ausrichterstadt liegt der Schwerpunkt der Vorträge und Workshops eher auf europäischen oder außereuropäischen Beispielen. Ersteres war auf der letztjährigen Walk 21-Konferenz in München der Fall. Der österreichische Verein für FußgängerInnen walk-space.at hat die Ergebnisse ausgewählter Vorträge dieser Münchner Konferenz im Sinne eines Wissenstransfers noch einmal in sieben Themenfeldern ausgewertet und in einer deutschsprachigen Broschüre zusammengestellt.
Inhalt
Die Broschüre präsentiert eine Reihe von Strategien zur Förderung des Fußverkehrs aus verschiedenen Ländern und vertieft dabei speziell den Ansatz der partizipativen Planung. Auch Vorträge zur Gestaltung des öffentlichen Raums und zum Prinzip des Shared Space werden rekapituliert. Der Beitrag des Fußverkehrs für die lokale Wirtschaft wird auf Basis ausländischer Studien aufgezeigt. Auch ein Workshop zur Koexistenz des Rad- und des Fußverkehrs wird zusammengefasst. Die besprochenen Beiträge zeigen, dass die Diskussionen zum Fußverkehr im Rahmen der Walk21 weit über verkehrsfunktionale Themen hinausgehen, die in den Verkehrswissenschaften häufig noch im Mittelpunkt stehen.
Mit Blick auf Strategien zur Förderung des Fußverkehrs sind Beispiele von engagierten Gebietskörperschaften unterschiedlicher Verwaltungsebenen ermutigend: In Norwegen wurde mit Blick auf das Jahr 2023 eine nationale Strategie für Fußgängerinnen und Fußgänger formuliert, in der zu erreichende quantitative Wirkungs- ziele vorgegeben werden. Die Handlungsbereiche, in denen Maßnahmenprogramme realisiert werden sollen, betreffen das bauliche Umfeld, die Kultur des Gehens, die Verantwortung und Kooperation von Akteuren, Service und Erhaltung, das Zusammenspiel innerhalb des Verkehrssystems sowie Wissen und Kommunikation zum Fußverkehr. Zum Beispiel soll dem Fußverkehr Priorität bei der Neuerrichtung von Verkehrsinfrastrukturen sowie bei deren Anpassung beigemessen werden. Als federführende Verwaltungseinheit wurde die nationale Straßenverwaltung mit der Ausarbeitung der Strategie und der Interessensvermittlung betraut.
Auch in der Stadt Paris wurde ein Paradigmenwechsel in der Stadtverkehrsplanung vollzogen. Einen hohen Stellenwert haben dort vor allem Maßnahmen, die eine Rückeroberung von Straßenräumen durch zu Fuß gehende Einwohner/ innen ermöglichen. Dazu zählen auch temporäre Umnutzungen und Aktionen (so z.B. der Pariser Strand „Paris-Plage“ entlang der Seine). Auf der Ebene von städtischen Teilräumen werden die Münchner Nachbarschaftsmobilitätskonzepte, die in der Isarvorstadt und in Freiham Nord entwickelt werden, als gute Beispiele präsentiert. Sie greifen auf Wissen zurück, das in generationsbezogenen, problemorientierten „Nachbarschaftsspaziergängen“ gewonnen wurde. Die Fußverkehrsstrategie „Berlin zu Fuß“ ist in den Prozess der auf das Jahr 2040 ausgerichteten Stadtentwicklungsplanung eingebunden und wurde in diesem Rahmen kooperativ entwickelt. Weitere gute Beispiele stammen aus Stuttgart, Bozen und Zürich.
Die diversen Beiträge der Broschüre lassen einige Neuerungen bzw. Akzentverschiebungen erkennen: Es gibt keine Scheu vor grundlegenden Planungsprinzipien oder „Philosophien“, wie z. B. der im norwegischen Beispiel verfolgten „Vision Zero“ (totale Vermeidung von tödlichen Unfällen) sowie des Ansatzes des „universal design“. Anstelle des langjährigen Fokus auf die zweckgerichtete Bewegung von einer Wegquelle zu einem Ziel werden das Erkunden der Stadt - auch durch Einheimische - und der Aufenthalt als wichtige Elemente des Zufußgehens mittlerweile stärker gewichtet. Dies erfordert mindestens zweierlei: Qualitative Aspekte der Stadtgestaltung, die ästhetische und emotionale Folgen für Zufußgehende im Blick haben, gewinnen an Bedeutung. Und die Personen, um die es bei solchen Planungen letztlich geht, müssen mit Hilfe von partizipativen Verfahren der Planung besser eingebunden werden. Dabei spielen systematische Begehungen („walking audits“) mit unterschiedlichen Personengruppen eine wichtige Rolle.
In komplexen städtischen Räumen kommt außerdem die Aufgabe des Interessensausgleichs mit einem größeren Kreis von „Stakeholdern“ hinzu. Es hat daher Sinn, wenn die Planungen in die breiter ausgerichtete Stadtentwicklungsplanung eingebettet werden. Bei Maßnahmenkonzepten für Teilgebiete wird für personengruppen- und situationsgerechte Maßnahmen plädiert, die vermehrt an die Stelle von technischen Standardlösungen treten. Am Beispiel von Umgestaltungen nach Prinzipien des Shared Space wird etwa die Notwendigkeit einer stärker prozesshaften Vorgehensweise betont.
Das Spektrum der vorgeschlagenen und getesteten Maßnahmen umfasst nicht mehr nur die Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur, sondern häufiger auch temporäre Umnutzungen von Straßenräumen: z.B. mit temporärer Stadtmöblierung, Kunst-Installationen, Markierungen, temporären Sport- und Spielplätzen und anderen Arten von Aufenthaltsbereichen. Solche Maßnahmen werden vermutlich auch deshalb befördert, weil der wirtschafliche Nutzen des Fußverkehrs häufiger als früher thematisiert wird.
Bewertung
All jene Interessierten, die nicht auf der Walk21 waren oder die nur wenige Vorträge dort hören konnten, finden in der Broschüre einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion von Fußverkehrsthemen. Die wesentlichen Ergebnisse der betreffenden Vorträge, die in englischer Sprache gehalten wurden, werden zusammengefasst und kommentiert. Die präsentierte internationale Perspektive lässt Akzentverschiebungen im Vergleich zu früheren Diskussionen erkennen. Aus den präsentierten ausländischen Beispielen (z.B. zur Fußverkehrsförderung in Paris) ergeben sich zudem interessante Hinweise auf übertragbare Aktionen und Fördermaßnahmen. So motiviert die Broschüre auch dazu, sich noch einmal einzelne der besprochenen Vorträge genauer anzuschauen. Die betreffenden Links sind angegeben; die Vorträge sind ansonsten auch über die Internet-Seite der Walk21 zugänglich: www.walk21munich.com.
Titel:
Zu Fuss auf der internationalen Fussgängerkonferenz Walk 21 in München 2013. Wien, März 2014, 41 Seiten.
Verfasser:
Dieter Schwab, Martina Strasser, Stefan Müllehner, David Schwab, Christian Zeilinger
Bezug:
Österreichischer Verein für FußgängerInnen walk-space.at:
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2014. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
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