Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 102/2020
Ausgangslage
Vor kurzem noch belächelt oder ignoriert, macht der Fußverkehr bei Verwaltung und Politik große Fortschritte hinsichtlich seiner Beachtung. Bislang waren seit wenigen Jahren lediglich das Umweltbundesamt sowie zwei Bundesländer die Treiber des Gehens auf der politischen Ebene. Die Möglichkeiten, sich als Fußgängerin oder Fußgänger durch die Stadt zu bewegen und sich in attraktiven öffentlichen Räumen aufzuhalten, gelten jedoch inzwischen als Qualitätskriterien für den Lebensraum Stadt.
Jetzt ist es Zeit, dass sich die Kommunen bewegen; das difu als Institut der deutschen Städte hat seit kurzem den Fußverkehr auch auf dem Schirm. Der vorliegende Sammelband soll den Kommunen den Einstieg in das Querschnittsthema Fußverkehr bieten und ihnen erleichtern, sich nicht nur in das Thema Verkehrsplanung sondern auch Architektur, der Städtebau, Grünplanung sowie Gesundheits- und Sicherheitspolitik mitzudenken.
Inhalt
Im folgenden Abschnitt kann der Kritische Literatur-Dienst Fußverkehr naturgemäß nicht in die Tiefe gehen wie sonst: In 20 Aufsätzen mit jeweils anderem Thema und Blickwinkel gehen die verschiedenen Autorinnen und Autoren das umfangreiche Kapitel Fußverkehr an.
Gegliedert ist der Band in die drei Abschnitte „Grundlagen“, „Meinungen und Positionen“ sowie „Kommunale Praxis“. Im ersten Abschnitt ist selbstverständlich der Anteil des Fußverkehrs an der städtischen Mobilität ein Schwerpunkt. Eine „Zusammenfassung der Ergebnisse der MiD 2017 zum Fußverkehr“ konnte man vorher sicherlich auch woanders lesen. Daher ist der dann folgende Beitrag, in dem der Zuständige für MiD2017 bei infas die Vor- und Nachteile der Erhebungsansätze Wege- und Etappenkonzept erläutert und die Ergebnisse vergleicht, interessanter.
Selbstverständlich gehört auch ein Absatz zum Unfallgeschehen von und mit Fußgänger/innen zu diesem Buchabschnitt. Einen anderen Blickwinkel dazu nimmt der Beitrag „Sicher durch die Stadt“ ein, in dem die Auswirkungen von („gefühlter“) sozialer und krimineller Sicherheit auf Verkehrsmittel- und Routenwahl betrachtet werden.
Im zweiten Abschnitt wird u.a. die planungs- und verkehrsrechtliche Behandlung des Fußverkehrs in Deutschland im Status Quo vorgestellt. Anschließend werden in dem Beitrag unter der Überschrift „Anforderungen und Wirkungszusammenhänge zur Förderung des Fußverkehrs“ auch vorsichtig Änderungsvorschläge unterbreitet. Die haben es aber teils in sich, denn wenn der Querungs- und Aufenthaltsbedarf bei Planung und Rechtsetzung adäquat beachtet werden würden, würde das ein neues Denken und große Änderungen in der Praxis bedeuten.
Im Beitrag „Stadt der kurzen Wege – jetzt mal richtig!“ wird die Diskussion über die technologischen Versprechungen den auch zukünftigen Bedürfnissen der Stadtbewohner/innen gegenüber gestellt. Gefordert wird wegen der langfristigen Umsetzung und der langwirkenden Umsetzungen eine Umorientierung des Städtebaus. Dafür werden „zehn Prinzipien für eine fußläufige Stadt“ aufgestellt. Abgewägt wird dabei die Umsetzbarkeit („Nahversorgung lässt sich fußläufig erreichen“), aber auch die „Einsatzgrenzen“ des Fußverkehrs aufgezeigt: Fuß- und öffentlicher Nahverkehr können nicht ohne den anderen.
Erfreulicherweise wird dem „Ruhenden Verkehr“, also dem Sitzen, Ausruhen und Kommunizieren der Fußgänger/innen ein ausführlicher Beitrag gewidmet. Neben Grundlagen („Warum sitzen?“) wird es auch pragmatisch („Sitzgelegenheiten – aber richtige“) und die richtige Stoßrichtung nicht vergessen („Sitzen mit verkehrsplanerischer Intention“).
Im Spektrum Gesundheit&Gehen stellt zum einen die AOK ihre Erkenntnisse und Strategien vor, wie sie das Gehen in den Städten gefördert haben will und welchen Beitrag sie selbst dazu leistet. In einem weiteren Beitrag wird das Konzept der „Healthy Streets“ in London vorgestellt, das von der Verkehrsgesellschaft Transport for London als Rahmen für die Verwaltungen für die langfristige Gestaltung von Straßenräumen erarbeitet wurde. Zehn Indikatoren wurden erkannt, an dem der jeweilige Stand erkannt werden kann, zum Beispiel das Sicherheitsempfinden der Menschen, die Leichtigkeit des Querens oder auch „peopöe feel relaxed“. Die Indikatoren sind alle einleuchtend, die Messbarkeit stellt sicherlich teilweise ein Problem dar.
Konkreter wird es im Bereich „Gestalten der Fußverkehrsräume“: Neben den Prinzipien werden auch gelungene Beispiele vorgestellt. Themen wie Fußverkehrs-Checks, Fußverkehrsbeauftragte sowie Fußgängerzonen und Radverkehr sind den mobilogisch-Leser/innen sicherlich bekannt. Dagegen ist die Idee der Flaniermeilen, hier vorgestellt am Beispiel Wien und die Art und Übertragbarkeit der Superblocks in Barcelona neuartiger. Letzteres Thema ist gerade für den deutschsprachigen Raum wichtig, da es bislang fast ausschließlich spanische und englische Literatur dazu gab.
Bewertung
Die Beiträge sind inhaltlich auf aktuellem Stand. Die thematische Zusammenstellung kann selbstverständlich bei dem angepeilten Spektrum nie umfassend sein, wirkt aber recht schlüssig, wobei die Zuordnung der Aufsätze zu den drei Abschnitten nicht unbedingt zwingend ist (aber auch nicht sein kann). Daher ist es ratsam, das gesamte Inhaltsverzeichnis zu überfliegen, wenn man spezielles sucht. Irritierend ist es, dass in der Rubrik „Meinungen und Positionen“ nicht der einzige Fußverkehrsverband Deutschlands gebeten wurde, (s)eine Position zu vertreten. Insbesondere da die Kommunen die Zielgruppe des Sammelbandes sind, wäre es sicher günstig gewesen, diese mit FUSS e.V. bekannt zu machen und so die Zusammenarbeit von kommunaler Politik und Verwaltung zu verbessern.
Titel:
So geht’s – Fußverkehr in Städten neu denken und umsetzen
Verfasser:
Uta Bauer/ difu (Hrsg.)
Bezug:
Deutsches Institut für Urbanisitik difu, www.difu.de → Publikationen. Erschienen in der Edition Difu, Nr. 18, 240 S., Berlin 2019. Print: ISBN 978-3-88118-643-8, 39.00€; e-Book: ISBN 978-3-88118-654-4, Preis: 33.99€
Impressum:
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2020. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Stefan Lieb.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail:
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.