Foto: Cody Lannom, Unsplash

Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 105/2020

Ausgangslage

Debatten um die attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums gewinnen in der Planung und Politik zunehmend an Bedeutung. Bekannterweise belastet der motorisierte Verkehr vielerorts die Aufenthaltsqualität an öffentlichen Plätzen und Straßen und führt zu Luftverschmutzung und Lärmbelastung unserer Städte. Im Hinblick auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Urbanisierung müssen nachhaltige Lösungen gefunden werden, die die Lebensqualität in dicht besiedelten Regionen sichern. Dementsprechend beeinflusst die Verkehrswende, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann. Ein oft diskutierter Ansatz liegt in der Verkehrsberuhigung, welche vielfältige Möglichkeiten bietet Quartiere zu entlasten, Flächen für andere Nutzungen zurückzugewinnen und langfristig städtische Mobilität zu verändern. 

Inhalt

Das Umweltbundesamt veröffentlichte im März 2020 eine Broschüre unter dem Titel „Quartiersmobilität gestalten - Verkehrsbelastungen reduzieren und Flächen gewinnen”. Die Veröffentlichung dient als Leitfaden für Interessierte Bürger*innen, sowie für Akteure aus der Politik, Verwaltung und Planung, mit der Schritt für Schritt gezeigt wird, wie die Verkehrsberuhigung auf Quartiersebene eingeleitet werden kann.

Im ersten Teil des Leitfadens werden konkrete Maßnahmen zur Entlastung des Straßenraums erklärt und anhand von Good-Practice Beispielen verdeutlicht. Dabei werden eine Vielzahl an Bausteinen mit unterschiedlichen Ansätzen vorgestellt, zum Beispiel rechtlicher, baulicher und organisatorischer Art. Die jeweiligen Maßnahmen werden definiert und einem Ziel zugeordnet. So werden zum Beispiel unter dem Ziel „Verkehrsbelastung reduzieren“ Maßnahmen wie Quer- und Diagonalsperren, Teilaufpflasterungen und Bodenkissen genannt. In farblich hervorgehobenen Infoboxen werden einige Maßnahmen vertieft und Praxisbeispiele untereinander verglichen. Weiterhin wird auf potenzielle Schwierigkeiten hingewiesen und Tipps für die Umsetzung gegeben. Gerade in Bezug auf rechtliche Anordnungen verweist der Leitfaden darauf, dass solche in der Praxis häufig missachtet werden und deswegen durch bauliche Eingriffe ergänzt werden müssen. Einen Blick über den Tellerrand liefern die herangezogenen Beispiele aus dem Europäischen Ausland, die nach der aktuellen rechtlichen Lage in Deutschland nicht umgesetzt werden könnten (z.B. digitale Verkehrsüberwachung), jedoch einen Ausblick in zukünftige Möglichkeiten bietet. Die Übersicht ist mit vielen Bildern anschaulich gestaltet und auch für Fachfremde leicht verständlich.

Im darauf folgenden Kapitel wird die Erstellung von quartiersbezogenen Mobilitätskonzepten thematisiert. Besonders hervorgehoben wird die Partizipation von Bewohner*innen beim Aufstellen solcher Konzepte. Wie dies gelingen kann, wird an Praxisbeispielen mit den Schwerpunkten Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Beteiligung und Citizen Science dargestellt. Unter solche Konzepte fallen unter anderem Kiezspaziergänge, die Förderung von Bürgerinitiativen, interaktive Datenerhebung und Ko-Kreative Planung zwischen Zivilgesellschaft und Entscheidungsträgern. Im Zuge dessen wird auch auf die Europäische Mobilitätswoche als möglichen Startschuss für Konzepte und Projekte der nachhaltigen Mobilität verwiesen. Ebenso werden Hilfestellungen zur schrittweisen Umsetzung von Konzepten an zur Verfügung gestellt, vor allem im Hinblick auf die Abstimmung mit den betroffenen Akteuren. Abschließend wird eine Anleitung zur Durchführung von Machbarkeitsstudien für Projekte gegeben und mögliche Finanzierungsquellen ausgelegt.

Neben konkreten Handlungsempfehlungen wird den Leser*innen Gegenargumente an die Hand gegeben, mit denen auf häufig genannte Einwände an Verkehrsberuhigungskonzepten (z.B. „Durch Verkehrsberuhigung verschärft sich die Parkplatznot”) reagiert werden kann. Weiterhin wird betont, dass Zweifel und Proteste von seiten der Anwohner*innen ernst genommen werden müssen, da die erfolgreiche Umsetzung der Maßnahmen häufig von der Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort abhängig ist.

Bewertung

Die Broschüre des Umweltbundesamts zeugt von einem langsam eintretenden Sinneswandel der Politik in der Betrachtung von Verkehr aus wirtschaftlicher Sicht, hin zu einem Verständnis von Mobilität, in dem das Wohlbefinden des Menschen und der Umwelt im Vordergrund stehen. Der 15 Seiten umfassende Maßnahmenkatalog bietet eine gute Übersicht an Möglichkeiten, die Kommunen und Bürger*innen ergreifen können, um ihre Quartiere attraktiver zu gestalten. In seiner anschaulichen und praxisbezogenen Gestaltung weist der Leitfaden das Potenzial auf, Interessierte zum Handeln anzuregen. 

Insbesondere die Hinweise auf aktuelle Mängel in verkehrlichen Maßnahmen sowie die Tipps für den Umgang mit potenziellen Konflikten stellen sich als hilfreich heraus. Dennoch lässt sich die Broschüre nicht als umfassenden Handlungsleitfaden bewerten, da sie in einigen Hinsichten oberflächlich ist und Themen zu kurz gefasst werden. Während sie für Personen und Akteure, die sich zuvor wenig mit Verkehr auseinandergesetzt haben, einen guten Ansatz in das Thema liefert, werden Planer*innen und Verkehrsexpert*innen der Broschüre nicht viel Neues entnehmen können. Die Darstellung der einzelnen Maßnahmen im ersten Teil ist gut gelungen, der zweite Teil zum Thema Mobilitätskonzepte greift jedoch längst nicht alle notwendigen Ebenen auf, die in der Aufstellung und Umsetzung relevant sind. Die dafür benötigten planungstheoretischen Grundlagen würden den Rahmen der Broschüre jedoch sprengen. 

Titel:

Quartiersmobilität gestalten - Verkehrsbelastungen reduzieren und Flächen gewinnen, Dessau-Rossau 2020

Verfasser:

Umweltbundesamt (Hrsg.) Autor: Wolfgang Aichinger

Bezug:

Kostenloser Download auf www.umweltbundesamt.de/publikationen

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2020. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autorin dieser Ausgabe: Alexandra Heitplatz

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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