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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 108/2021

Ausgangslage

Die Lebenserwartung von Menschen mit Bewegungsmangel ist im Vergleich zu sich aktiv bewegenden Menschen deutlich kürzer. Mit bewegungsfördernder Mobilität kann sich das ändern, dafür braucht es nur mehr Platz.

Inhalt

Der VCÖ geht mit der Broschüre „Mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität“ auf die Themen Gehen und Radfahren ein. Zuerst wird in die Thematik im Zusammenhang mit körperlicher Gesundheit eingeleitet. Hier wird unter anderem erläutert, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Bewegungsmangel als eines der schwerwiegendsten Risikofaktoren für die Gesundheit eines jeden Menschen einstuft. Mangelnde Bewegung steht im Zusammenhang mit mehreren Krankheiten unserer Zeit: Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzinfarkt sowie Diabetes und Übergewicht.

Während der zu Fuß zurückgelegte Alltagsweg in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist, haben sich Arbeit oder Freizeit zu überwiegend sitzenden Betätigungen umgewandelt. Das schadet dem Körper sorgt für Kosten im Gesundheitssektor, in Österreich beträgt diese etwa 181 Millionen Euro im Jahr. Um diesem Problem entgegenzuwirken, empfiehlt die WHO sich mindestens 150 Minuten in der Woche ausgewogen zu bewegen. Das sind etwas mehr als 20 Minuten pro Tag. die nicht nur die Gesundheit fördern, sondern auch Erholung und Freude zugleich sein können. Zur Arbeit oder zur Schule zu gehen, erleichtert den Menschen das empfohlene Ausmaß zu erreichen.

Des Weiteren wird hervorgehoben, dass aktive Mobilität mehr Platz braucht, um attraktiv zu sein. Wichtig sei hier die Gestaltung des öffentlichen Freiraums, vor allem von Verkehrsflächen, denn das Mobilitätsverhalten wird von guter Gestaltung und Qualität positiv beeinflusst. Gehwegbreiten, Sitzgelegenheiten und Bepflanzungen steigern die Attraktivität des Straßenraums für zu Fuß Gehende und wirken sich auf die Häufigkeit des Gehens aus, genauso wenn Alltagsziele sich in Gehdistanz befinden oder die Sicherheit des Wohnumfeldes gewährt ist.

Der Begriff Walkability wird hier genannt, ein Parameter, das die Gehfreundlichkeit der Stadt misst, unter anderem mit folgenden Kriterien: Dichte von Bebauung und Bevölkerung, Diversität und Nutzungsmix, Ausgestaltung der Geh- und Radinfrastruktur, Erreichbarkeit von Zielen und die Entfernung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die Broschüre geht im weiteren Verlauf auf die Stadt der kurzen Wege ein. Hier wird das Konzept beschrieben, in dem alle notwendigen Bereiche der städtischen Daseinsvorsorge innerhalb von 15 Minuten Gehzeit erreichbar sind. In Österreich etabliert sich dafür ein Masterplan „Dorf- und Stadtstrukturen mit Radien von einem Kilometer“. Ein Projekt, das die Abhängigkeit vom Auto verringern soll, mithilfe von Straßenumgestaltungen und Investitionen in die Innenstadt.

Anschließend wird beschrieben, dass die Qualität des Freiraums und dessen Nutzung abseits der Fortbewegung daran erkannt werden kann, wie lange und wie oft sich Menschen an jenem Ort aufhalten. Als Beispiel wird die Stadt Zürich angegeben, wo nur ein Prozent der Anwohner und Anwohnerinnen einer Straße mit Tempo 50 diesen Straßenraum für Aktivitäten wie Zeitung lesen oder Sitzen benutzen, in einer Begegnungszone (Verkehrsberuhigung mit Vorrang für Fußgänger) diese Zahl aber bei elf Prozent liegt. Bauliche Maßnahmen sind ebenso wichtig wie eine Geschwindigkeitsreduktion.

Dem Fußverkehr kann nicht mehr nur der „übrig“ gebliebene Freiraum bei der Straßenplanung zugemutet werden. Fahrspuren können verengt oder reduziert werden und Parkstreifen in Multifunktionsstreifen transformiert werden. Der VCÖ empfiehlt hier die Integration von Neubepflanzungen, die Ausstattung mit neuen Aufenthaltsmöglichkeiten sowie frei bespielbare Flächen. Ebenfalls wird ausdrücklich empfohlen, alle 200 Meter einen „Mikrofreiraum“ zu etablieren, mit Möblierungen oder einer Gehwegvorziehung, der als Anfang oder Schritt in Richtung „Aufwertung des öffentlichen Freiraums“ angesehen werden kann.

Damit Gehen attraktiver wird, schreibt die Broschüre eine Auflösung der starren und linearen Zonierungen und des damit verbunden autoorientierten Straßenbildes vor. Miteinander auf gleichem Niveau, von Fassade zu Fassade, in dem man die Höhenunterschiede weglässt. Dies führt dazu, dass von allen Nutzenden eine stärkere Aufmerksamkeit gefordert wird, was zu einer Geschwindigkeitsreduktion führen soll. Die Sicherheit wird durch das Wegfallen von Abstellflächen für PKWs begünstigt, da dann die Trennwirkung entfällt. Mit so genannten Mischverkehrsflächen in Form von Wohnstraßen, Fahrradstraßen oder Begegnungszonen wird eine Gleichberechtigung für Fortbewegung und Aufenthalt erreicht.

Gegen Ende der Broschüre wird auf die Thematik Barrierefreiheit und Inklusion eingegangen. Hier wird deutlich gemacht, dass mit einer Inklusion nicht die Integration von Ausgegrenzten gemeint ist, sondern die Gleichstellung dieser in der Gesellschaft. Inklusion in der Mobilität bedeutet, dass alle Menschen, ob gehbehindert oder blind, den Straßenraum aktiv und sicher in Anspruch nehmen dürfen. Mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, sind laut Gesetzt in Österreich, Barrieren abzubauen und Einrichtungen bzw. Bauten wie Wohnungen, Straßen, Schulen aber auch Transportmittel zugänglich zu machen.

Bewertung

Die Broschüre verleiht einen umfassenden Blick auf die universellste, natürlichste und demokratischste Art der Fortbewegung, dem Gehen. Es werden Probleme benannt und Lösungen vorgeschlagen, positive Beispiele gegeben und mit einfachen Piktogrammen und Zeichnungen das Verständnis über das was Vermittelt verfestigt. Der einfache Aufbau der Broschüre so wie der gut verständliche Text erlauben es dem Leser alles nachzuvollziehen, auch wenn man fachfremd ist. Die Broschüre schafft es, die Lust des Lesens auf den knapp 35 Seiten auf hohem Niveau aufrecht zu erhalten. Kurze, aber interessante Randinformationen zu anderen Projekten in verschiedenen Ländern und Städten, ausgewogene Darstellungen von dem Beschriebenen und die gute Gliederung des Textes helfen dabei.

Titel:

Mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität, Wien 2021, 44 Seiten, 30,- Euro. Reihe: Mobilität mit Zukunft 2021-01

Verfasser:

VCÖ (Hrsg.), diverse Autoren

Bezug:

VCÖ, vcoe.at → Publikationen → Mobilität mit Zukunft Neben Bestellung der Printversion ist auch kostenloser Download möglich.

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2021. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Bilal Demirer.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., www.fuss-eV.de

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