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Im System betrachtet:

Querungsanlagen für den Fußverkehr werden „normalerweise“ aus der Sicht des „flüssigen“ Individualverkehrs betrachtet und häufig lediglich zusätzlich als punktuelle Hilfestellung für den Bedarf querender Fußgänger eingerichtet. Der FUSS e.V. hat nun für ein immerhin etwa 150 Kilometer langes Fußwegenetz in der Bundeshauptstadt Berlin 400 Querungsstellen untersucht und der Senatsverwaltung Vorschläge für ein Angebot sicherer und komfortabler Wegeabschnitte unterbreitet.

In Berlin entsteht das Wegesystem: „20 grüne Hauptwege“. Mit insgesamt rund 500 Kilometern Spazierwegen, Promenaden, durchgrünten Straßenräumen, Gehwegen, aber auch Fahrbahnquerungen ist dieses Projekt in seiner flächenmäßigen Ausdehnung und Netzdichte in Deutschland einmalig. Es wurde im Rahmen des Landschaftsprogrammes des Senats für Stadtentwicklung 1994 vom Senat und dem Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen und wird seit 2003 von einer breiten Basis von Bürgern und Verbänden unterstützt. Etwa 150 Flaneurinnen und Flaneure des Bürgerprojektes „Netzwerk für 20 grüne Hauptwege in Berlin“ (FUSS e.V. und BUND Berlin) haben das Wegenetz analysiert und für bisher noch nicht zugänglichen Abschnitte temporäre Umwege vorgeschlagen. Anfang 2008 erschien erstmals eine Übersichtskarte im piekart-Verlag mit der in den Verwaltungen abgestimmten Wegeführung aller grünen Hauptwege.

Netzschließung

Verkehrssichere und komfortable Straßenquerungen sind eine entscheidende Grundlage für den Erfolg dieses anspruchsvollen Vorhabens, ein Fußwegenetz für die Alltags- und Freizeitmobilität der Bewohner dieser Stadt und ihrer Gäste zu schaffen. Deshalb hat der FUSS e.V. mit Unterstützung durch die Verkehrslenkung Berlin (VLB) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Querungsanlagen im Verlauf der 20 grünen Hauptwege untersucht und Vorschläge für Verbesserungs-Maßnahmen formuliert. Diese entsprechen den Intentionen des 2003 vom Senat vorgelegten und vom Parlament beschlossenen Stadtentwicklungsplanes Verkehr.

Für etwa ein Drittel des Netzes - das gesamte Innenstadtgebiet und vier „Ausläufer“ in die Himmelsrichtungen - wurde eine Schwachstellen-Analyse „Fußverkehr-Audit“ („Pedestrian Audit“) durchgeführt. Dabei wurde untersucht,

  1. ob die Querungsanlagen dem aktuellen Regelwerk entsprechen,
  2. ob sie unter Einbeziehung der örtlichen Verkehrsverhältnisse höchstmögliche Verkehrssicherheit bieten,
  3. attraktiv und komfortabel sind und
  4. sich im möglichst direkten Wegeverlauf befinden.

Da von einem hohen Anteil mobilitätseingeschränkter Personen ausgegangen wird, hatte die Barrierefreiheit einen hohen Stellenwert.

Maßnahmen sind überschaubar

Obwohl der FUSS e.V. der Stadtverwaltung ein zunehmendes Augenmerk für die Belange des Fußverkehrs bestätigt, offenbarte diese erste Betrachtung von Querungsanlagen in einem Netzzusammenhang zahlreiche Gefahrenstellen und Hindernisse für die Benutzerinnen und Benutzer. Für das Untersuchungsgebiet wurden ca. 500 Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen formuliert. Davon betreffen allerdings etwa 13 % die Fragestellung, ob nicht allein durch eine Korrektur im Wegeverlauf - und sei es nur der Wechsel der Straßenseite - eine Verbesserung der Bedingungen für Verkehrssicherheit und Komfort erreicht werden kann. Diese Vorschläge sind kostenneutral. Etwa 25 % der Vorschläge beziehen sich auf Markierungen von Fußgängerkaps bzw. Park- und Fahrstreifen, gehören also zu den kostengünstigen und kurzzeitig umsetzbaren Maßnahmen. Unter den aufwändigeren Maßnahmen wurde mit insgesamt 70 Vorschlägen am häufigsten der Bau eines Fußgängerkaps (Gehwegvorstreckung) empfohlen, aber auch Mittelinseln (6), Plateaupflasterungen (4) und Teilaufpflasterungen (7). Insgesamt wurde lediglich an 14 Stellen die Anlage eines Fußgängerüberweges und an 17 Stellen die Einrichtung oder eine Erweiterung der Lichtsignalanlage empfohlen.

Wegebegehungen mit mehrfachen Ortsbesichtigungen und Beobachtungen ergaben, dass häufig nicht die Knotenpunkte mit der Querung einer stark befahrenen Straße problematisch waren, sondern Straßen mit mittelstarkem und häufig unangemessen schnellem Kraftfahrzeugverkehr. Als unerwartet gefährlich oder unkomfortabel eingestuft wurden teilweise Straßenabschnitte von geringerer Bedeutung für den Kraftfahrzeugverkehr. Diese Aussagen treffen auf die Innenstadt und auch auf die untersuchten äußeren Bereiche zu. Bei letzteren kommen als Problembereiche Querungen über sogenannte „Ausfallstraßen“ hinzu, die vom Kraftverkehrsaufkommen gar nicht so herausragend stark befahren sein müssen.

Eine erste grobe Kosteneinschätzung für die Gesamtheit der kostenmäßig erfassbaren Maßnahmenvorschläge ergab für das Untersuchungsgebiet einen Bedarf von etwa 1,5 Millionen Euro bzw. einen durchschnittlichen Kostenfaktor von ca. 10.000,- Euro pro Kilometer Wegelänge. Hochgerechnet auf das gesamte Wegesystem würde sich ein Kostenbedarf von ca. 5 Millionen Euro ergeben. Ein zeitlicher Realisierungshorizont könnte a) auf die in der Studie angegebenen Dringlichkeiten von Verbesserungsmaßnahmen für das Gesamtnetz aufbauen, b) durch Schwerpunktsetzung auf einzelne grüne Hauptwege festgelegt oder c) durch eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten entwickelt werden. Eine bezirksbezogene Umsetzungsstrategie würde zwar einen Wettbewerbseffekt beinhalten, wäre aber von Einwohnern und Gästen kaum als ein Fußwegeförderungs-Konzept einzuordnen und auch nicht als Stadtmarketing-Konzept darstellbar. Deshalb hat der FUSS e.V. der Senatsverwaltung empfohlen, z.B. zwei der 20 grünen Hauptwege als Modellvorhaben in das Handlungskonzept „Fußverkehr“ im Rahmen des Stadtentwicklungsplanes Verkehr (ab 2009) zu integrieren und dafür einen Innenstadt-Weg und einen Weg vom Stadtkern zur Stadtgrenze auszuwählen.

Fußverkehrsstrategie öffentlich machen

Da Verkehrssicherheitsmaßnahmen für den Fußverkehr in der Regel punktuell erfolgen und somit nicht als Konzept wahrnehmbar und darstellbar sind, hat der FUSS e.V. den auf den ersten Blick waghalsigen Vorschlag unterbreitet, alle Bordsteine im direkten Verlauf der grünen Hauptwege in Berlin mit einer hellgrünen Farbe zu markieren.

In Berlin gibt es ein teilweise überdimensioniertes Leitsystem für den Kraftfahrzeugverkehr und in den letzten Jahren wurde nun endlich auch ein Orientierungssystem für den Radverkehr geschaffen. Doch geht es um die Frage der Orientierung für den Fußverkehr, kommt immer wieder das Gegenargument, man wolle keinen weiteren „Schilderwald“. Es wäre in der Tat auch ein praktisches Problem, ein städtisches Fußwegenetz mit einer Gesamtlänge von etwa 500 Kilometern eindeutig und halbwegs lückenlos zu markieren. Der Vorschlag unterstützt deshalb die Vorstellung, möglichst nicht noch mehr Schilder im Straßenverkehr aufzustellen. Dagegen soll die nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 2006 (6.1.8.4 Einfärbung der Bordsteinkanten) vorgeschlagene Hervorhebung der Bordsteine aus Sicherheitsgründen aufgegriffen und systembezogen vorgenommen werden. Durch dieses „liegende Leitsystem“ wären weitere Markierungen und Wegweisungen in der Hauptsache nur noch in größeren Grünanlagen notwendig, um den richtigen Ausgang zu finden und dort wiederum durch das „Bordsteinorientierungssystem“ empfangen zu werden.

Es ist in der Tat so, dass es in Deutschland derzeit nichts Vergleichbares gibt. Insofern wäre dies ein Alleinstellungsmerkmal auch im Rahmen des Berlin-Marketing. Das derartige netz- bzw. linienbezogene Bewerbungs-Methoden Charme haben, zeigen z.B. die Erfolge mit dem „Ostertor-Weg“ in Bremen oder der „Leipziger Notenspur“. Bei ca. 800 notwendigen Bordsteinmarkierungen ergäben sich im Untersuchungsgebiet Kosten von ca. 240.000,- und hochgerechnet für das gesamte Vorhaben von ca. 800.000,- Euro. Damit ließe sich mit einem durchaus verträglichen Aufwand eine enorme Signalwirkung erreichen und eine für das Stadtmarketing herausragende Aussage für „die fußgängerfreundliche Stadt Berlin“ darstellen.

Ein Nachteil der Umsetzung könnte sich daraus ergeben, dass dieser Vorschlag nicht von einer gesondert beauftragten und mit viel Geld bezahlten Marketing-Agentur unterbreitet wurde, sondern im Verlauf einer Netzbetrachtung des verkehrspolitisch orientierten Fachverbandes FUSS e.V. entstanden ist.

Handeln: Über das Wegenetz hinaus

Die 20 grünen Hauptwege sollen ein zusätzliches und attraktives Angebot darstellen und können und sollen nicht den Fußverkehr auf ein straßenferneres Wegenetz bündeln. Die vorliegende Analyse erlaubt allerdings aufgrund der Größenordnung und der Auswahl des Untersuchungsgebietes auch Rückschlüsse auf die Qualität und die Schwachstellen der Querungsanlagen in der gesamten Stadt. Die folgend nur kurz dargestellten fünf latenten Gefahren an Querungsanlagen in Berlin dürften auch in anderen deutschen Städten relevant sein.

  1. Sehen und gesehen werden: An den untersuchten Querungsanlagen fehlten in einem erstaunlich hohen Maße Aufstellflächen für die Fußgänger. Das legale Parken im Sichtbereich zwischen den Fußgängern und dem Fahrzeugverkehr durch Parkbuchten direkt neben der Übergangsstelle war ein häufigeres Problem als das illegale Parken in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen. Gehwegvorstreckungen entsprechen auffällig häufig nicht dem „Stand der Technik“, d.h. sie sind zu kurz, um den Sichtkontakt zu verbessern.
  2. Angemessene Fahrgeschwindigkeiten: Der kurze Wechsel zwischen 50 km/h und geringeren zulässigen Höchstgeschwindigkeiten und ein Straßenausbauzustand für höhere Geschwindigkeiten vermindert eindeutig die Akzeptanz von z.B. Tempo 30-Strecken und -Zonen. Mitunter wurde direkt nach einem Fußgängerüberweg Tempo 30 angeordnet und nicht vor der Querungsanlage.
  3. Angemessene Querungszeiten für Fußgänger: Die richtliniengemäßen Einsatzbereiche der verschiedenen Querungsanlagen verführten häufig dazu, z.B. Gehwegvorstreckungen als Querungshilfe auch dann einzurichten, wenn es zu bestimmten Verkehrszeiten keine Lücken im Verkehrsstrom gibt, die ein nichtbevorrechtigtes Queren der Straße überhaupt erst ermöglichen.
  4. Fußgängerfreundlichere Signalisierung: Obwohl die Schaltungen von Lichtsignalanlagen nicht zum Gegenstand der Untersuchung gehörten, wurden zahlreiche Ampelanlagen registriert, bei denen eine Querung der Straße nicht in einem Zuge möglich ist oder an denen Fußgänger durch Grün auf der Straßenseite hinter einer Mittelinsel „herübergezogen“ werden. Das Hauptproblem waren allerdings unvollständig signalisierte Knotenpunkte.
  5. Fußgängerfreundliche Verhaltensweisen unterstützen: Insbesondere in Gebieten mit innerstädtischer Urbanität (Cafés, Restaurants, kleine Geschäfte, etc.) und damit hoher Attraktivität gerade für Fußgänger sind verkehrswidrige, unsoziale und andere Menschen gefährdende Verhaltensweisen geradezu eingebürgert und selbstverständlich. In derartigen Kernbereichen muss durch ausreichend häufige Überwachungen verkehrswidriges Halten und Parken weitgehend unterbunden werden.

Eine der Grundlagen der Studie war ein Aussage aus einem Forschungsbericht aus der Schweiz, die in Fragen der Förderung des Fußverkehrs einige Schritte weiter ist: „Die Erfahrung aus der bisherigen Förderpraxis zeigt, dass Einzelmaßnahmen, wie sie in der Regel realisiert werden, zu keiner spürbaren Veränderung des Mobilitätsverhaltens führen. Ein möglicher Ansatz zur signifikanten Erhöhung des Anteils der Wegeetappen des Fuss- und Veloverkehrs liegt darin, im Sinne einer stimmigen Kombination von Einzelmaßnahmen Maßnahmenpakte zu bilden.“

In Kürze

Die Umsetzung und Weiterentwicklung der 20 grünen Hauptwege in Berlin sind erklärtes Ziel der Landesregierung und werden in absehbarer Zukunft ein Herausstellungsmerkmal des Stadtmarketings sein. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Qualität der Grün- und Erholungswege und der Verkehrsflächen gleichermaßen schrittweise verbessert werden. Die von FUSS e.V. durchgeführte Schwachstellen-Analyse ist die in Deutschland bisher umfangreichste Untersuchung von Querungsanlagen, die an einem städtischen Wegesystem vorgenommen wurde. Das Ergebnis spricht für die Effizienz des Fußverkehrs: Etwa 5 Millionen Euro würden ausreichen, um das insgesamt 500 Kilometer lange Wegenetz für Fußgänger sicherer, komfortabler und attraktiver zu machen.

Weitere Informationen

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2009, erschienen.

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