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Fußläufig erkundet und nicht versandet:

Dies ist ein kleiner Fortsetzungsroman: In der mobilogisch 1/09 (S.18-21) berichteten wir bereits über die erste Bearbeitungsphase des Projektes „Querungsanlagen im Verlauf der 20 Grünen Hauptwege®“. Insgesamt 15 Monate waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des FUSS e.V. in Berlin unterwegs, um Gefahren für Fußgängerinnen und Fußgänger aufzuspüren, bevor es an diesen Stellen zu einem Unfall kommt. In der Zwischenzeit haben sie etwa 1.000 Querungsanlagen analysiert und für 825 davon dem Senat und den Bezirksverwaltungen Vorschläge zur Verbesserung unterbreitet. Das ist wahrscheinlich weltweit ein Novum, aber was geschieht nun mit den immerhin 370 Seiten umfassenden Untersuchungsergebnissen?

Untersucht wurden alle begehbaren Stellen im rund 500 Kilometer langen Wegenetz von Spazierwegen, Promenaden, durchgrünten Straßenräumen und Gehwegen (vgl. Abschnitt 1 des Schlussberichtes), an denen eine Querung von Flächen notwendig ist, die auch vom motorisierten Verkehr genutzt werden (vgl. Abschnitt 3.3). Dabei wurde jede einzelne Fahrbahnquerung von beiden Gehrichtungen aus ein bis drei Mal beobachtet, anhand eines Querungsstellen-Begehungsbogens (siehe Abschnitt 4.5) und durch Fotos erfasst und anschließend einer Schwachstellen-Analyse unterzogen.

Untersucht wurde, ob die Querungsanlagen dem aktuellen berliner und bundesweiten Regelwerk als „Stand der Technik“ entsprechen (vgl. Abschnitt 2), ob sie unter Einbeziehung der örtlichen Verkehrsverhältnisse höchstmögliche Verkehrssicherheit bieten (vgl. Abschnitt 5.2), attraktiv und komfortabel sind und sich im möglichst direkten Wegeverlauf befinden. Da in diesem Freizeit- und Alltagswegenetz von einem hohen Anteil von Menschen mit Mobilitäts- und kognitiven Einschränkungen ausgegangen wird, hatte die Barrierefreiheit einen hohen Stellenwert. Anhaltspunkte für die Bewertung der Maßnamenvorschläge nach Dringlichkeits-Stufen wurden dem derzeitig gültigen Regelwerk entnommen (siehe Abschnitt 6).

Verkehrssicherheit = Sehen + Halten

Das durchgeführte Fußverkehrs-Audit erlaubt aufgrund der Größenordnung des Untersuchungsgebietes und der Netzdichte Rückschlüsse auf die Verhältnisse in der gesamten Stadt (siehe insbesondere Abschnitt 9), welche auch in anderen deutschen Städten relevant sein dürften. Unabhängig von der Vielfältigkeit der Maßnahmenvorschläge im Detail lassen sich aus Sicht der Verkehrssicherheit von Fußgängern beim Queren von Fahrbahnen die Probleme in nur zwei Aussagen zusammenfassen:

  • Besonders auffällig sind die zahlreichen meist durch unachtsam aufgestelltes Mobilar behinderten Sichtbeziehungen zwischen den Fußgängern und den anderen Verkehrsteilnehmern. Dabei haben die immer wieder zu dicht an die Querungsanlagen herangeführten Parkbuchten für Kraftfahrzeuge und die fehlende Überwachung verkehrswidrigen Parkens z.B. in den freizuhaltenden 5-Meter-Bereichen ein hohes Gefährdungspotential.
  • Beim Querungsvorgang im Hauptstraßennetz sind die möglichen Konflikte insbesondere auf die unangemessen hohen Fahrgeschwindigkeiten des motorisierten Verkehrs aufgrund zu breiter Fahrstreifen und zu großzügig ausgerundeter Ecken zurückzuführen. Die für die Verkehrsteilnehmer nicht immer verständlichen Anordnungen verschiedener zulässiger Höchstgeschwindigkeiten mit einem Wechsel auf kurzen Distanzen zwischen 50 km/h und z.B. Tempo-30-Strecken vermindern offensichtlich die Akzeptanz für eine langsamere Fahrweise außerhalb des Hauptstraßennetzes.

Die Schaltungen von Lichtsignalanlagen waren nicht Gegenstand der Untersuchung. Es wurden dennoch zahlreiche Situationen erfasst, die seit vielen Jahren von Verkehrswissenschaftlern als latente Gefahren für Fußgänger beschrieben werden. Wegen des hohen Anteiles von Fußgänger-Unfällen mit Personenschäden an Lichtsignalanlagen wird die Durchführung einer gesonderten LSA-Analyse aus der Sicht des Fußverkehrs in Berlin empfohlen.

Verbesserungen nicht zum Nulltarif

Insgesamt wurden annähernd 1.300 Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen formuliert, d.h. im Durchschnitt etwa 2,6 Empfehlungen pro Kilometer des Wegenetzes (Abschnitt 7). Davon betrifft allerdings ein großer Teil die Fragestellungen, ob nicht allein durch eine Korrektur im Wegeverlauf – und sei es nur der Wechsel der Straßenseite –, durch eine häufig kostenneutrale Freihaltung der Sichtbeziehungen zwischen den Fußgängern und den anderen Verkehrsteilnehmern oder durch ebenfalls kostengünstige Markierungsmaßnahmen auf den Verkehrsflächen mehr Verkehrssicherheit und Komfort erreicht werden kann. Eine grobe Einschätzung für die Gesamtheit der kostenmäßig erfassbaren Maßnahmenvorschläge ergab einen durchschnittlichen Kostenfaktor von etwa 13.000,- Euro pro Kilometer Wegelänge, also einen Gesamtbedarf von ca. 6,5 Millionen Euro.

Dass auch Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Förderung des Fußverkehrs „so viel“ Geld kosten, mag manche Kommunalpolitiker oder –planer/innen erstaunen, man sollte die Zahlen aber schon auch im Zusammenhang betrachten: Die genannte Summe entspricht ca. 0,3 % der Kosten für Verkehr und Infrastruktur des Berliner Doppelhaushaltes 2010/2011, ohne die Ausgaben der 12 Berliner Bezirke. Noch immer nagen Instandhaltungskosten und Neubaumaßnahmen für die Infrastruktur des motorisierten Verkehrs an den städtischen Haushalten und der Autor hat noch niemals ein Schild „Fahrbahnschaden“ mitten auf dem Fahrstreifen gesehen, so wie es sich als Zukunftsvision für irgendwann einmal durchzuführende Instandhaltungsmaßnahmen an Gehwegen immer mehr verbreitet. Es scheint also eine Frage der verkehrspolitischen Prioritätensetzung zu sein. Da auch Fußverkehrs-Anlagen Geld kosten, müssen dafür in den kommenden Jahren Haushaltsmittel eingestellt werden.

Beschlussfassungen sind noch keine Umsetzung

Die Empfehlungen für Maßnahmen entsprechen den Absichten des 2003 vom Berliner Abgeordnetenhaus (Landesparlament) beschlossenen Stadtentwicklungsplanes Verkehr, weshalb das Vorhaben durch die Verkehrslenkung Berlin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in den Jahren 2008 und 2009 unterstützt wurde. Darüber hinaus ist die Umsetzung und Weiterentwicklung der 20 Grünen Hauptwege® in Berlin erklärtes Ziel der Landesregierung (vgl. Abschnitt 2). Einig sind sich alle Beteiligten, die Senatsverwaltung, die Bezirke, die Kooperationspartner BUND-Berlin, FUSS e.V. und die Flaneurinnen und Flaneure des gemeinsamen Bürgerprojektes, dass eine Netzschließung nur bei einer möglichst verkehrssicheren Querung von Verkehrsflächen möglich ist. Dennoch werden erst die kommenden Monate zeigen, ob eindeutige Beschlussfassungen und der vorhandene Willen auch tatsächlich zu einer Umsetzung führen.

Der FUSS e.V. ist einer der Erstunterzeicher der „Berliner Charta für die Verkehrssicherheit“ und hat eine „Selbstverpflichtung“ insbesondere zu folgendem Aktionsfeld unterzeichnet: „Sicherheitsorientierter Entwurf von Straßen und sonstiger Verkehrsinfrastruktur, der Verkehrsunfälle minimiert und zu einer sicheren Fahrweise anhält“. Das Projekt „Querungsanlagen im Verlauf der 20 grünen Hauptwege“ hat sich an dieser Schwerpunktsetzung orientiert. Dennoch wurde es beim „8. Verkehrssicherheitsforum 2010“ im Juni erstaunlicherweise von der Senatsverwaltung nicht in die Tagesordnung aufgenommen. Da es sich um eines der bemerkenswertesten Verkehrsicherheits-projekte aus den Reihen der Unterzeichner der Charta handelt, ist derzeit zumindest die Aufnahme im „Nachspann“ zum jährlichen „Verkehrssicherheitsprogramm Berlin 2010 – Berlin sicher mobil“ in Diskussion.

Bei der Diskussion des Beirates „Berlin zu Fuß“ (siehe folgender Artikel) spielten die 20 Grünen Hauptwege® immer wieder eine wichtige Rolle, waren allerdings auch nicht unumstritten. Das lag zum einen daran, dass das Projekt aus der Arbeit des Senats-Referats „Naturschutz, Landschaftsplanung und Forstwesen“ hervorging und dadurch von einigen Mitarbeitern aus den Verkehrs- und Sicherheitsreferaten bislang eher als reines Grünplanungsprojekt angesehen wurde. Zum anderen reagierten die Vertreter/ innen aus den Bezirken sehr unterschiedlich auf die Wegefestlegungen durch ihre Bezirke. Nicht zuletzt aber stand die durchaus berechtigte Fragestellung im Raum, ob sich die Bedingungen für Fußgänger durch Gehwegnetzplanungen grundsätzlich verbessern lassen. Im Entwurf der „Fußverkehrsstrategie für Berlin“ einigte sich der Beirat zur letzten Frage auf ein eindeutiges „ja“ und begründete dies folgendermaßen: „Grundsätzlich sollen alle Wege in der Stadt fußgängerfreundlich sein. Für die planerische Begründung von Standards, Maßnahmen und Prioritäten, für die Öffentlichkeitsarbeit und die Gewinnung von politischer Unterstützung ist es jedoch sinnvoll, Routen und Netze zu konzipieren, die für den Fußverkehr von herausgehobener Bedeutung sind.“

In der nunmehr in der Beschlussfassung befindlichen „Fußverkehrsstrategie für Berlin“ sind deshalb „drei Pilotprojekte für unterschiedlich strukturierte Teilräume“ vorgesehen. „Eines dieser Pilotvorhaben soll sich auf einen der 20 Grünen Hauptwege ® beziehen (z.B. Nr. 19: Tiergartenring).“ Sollte dieser Vorlage evtl. sogar noch in diesem Jahr vom Senat und vom Rat der Bürgermeister zugestimmt werden, sind für die Umsetzung der Zeitraum 2011-2016 und als „wichtige Mitwirkende“ u.a. der FUSS e.V. vorgesehen.

Fazit

Die Untersuchung des FUSS e.V. ist das bisher umfangreichste sogenannte „Fußverkehrs-Audit“, welches jemals in einem Fußwegenetz eines städtischen Straßensystems durchgeführt wurde. Insbesondere weil die Maßnahmen auch Geld kosten, gibt es keine einhellig positiven Reaktionen seitens der Behörden in Berlin. Dennoch wird die Schwachstellen-Analyse voraussichtlich nicht im Aktenschrank landen. Das Land Berlin hat sich in Sachen Verkehrssicherheit für Fußgänger weit vorgewagt.

 

Info:

  • Die Projekt-Ergebnisse (Untersuchungsgebiet, Zusammenfassung, gesamter Projektbericht, Maßnahmenvorschläge für die Berliner Bezirke) stehen zur Ansicht und zum Download zur Verfügung: www.fussverkehrs-audit.de > http://www.fussverkehrs-audit.de/berlin.html.
  • Weitere Links siehe mobilogisch! 1/09, S.21

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2010, erschienen.

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