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Der Winterdienst auf Gehwegen ist oft unzulänglich: Gehwege, Fahrbahnquerungen, ÖPNV-Haltestellen werden gar nicht oder spät geräumt; festgetretener Schnee wird mit Hilfe eines Salz-/ Split- Gemischs zu einem schwer bezwingbaren Ärgernis. Die Einhaltung der in den Gemeindesatzungen festgelegten Räum- und Streupflicht wird seitens der Städte und Gemeinden nur unzureichend überprüft. Konsequenzen für Haus- und Grundbesitzer, die sich um Gefährdungen und Hindernisse durch Eis und Schnee nicht kümmern, sind die Ausnahme.

Der Fachverband Fußverkehr in Deutschland / FUSS e.V. hat für Sie zusammengestellt, wie weit die Räum- und Streupflicht reicht und wie man eine Verbesserung erreichen kann.

Verkehrssicherungspflichten

sind eine Generalklausel mit unscharfen Anforderungen an Haus- und Grundbesitzer und Betreiber von Verkehrsanlagen.

Der Winterdienst auf Gehwegen gehört zu den sogenannten Verkehrssicherungspflichten. Diese sind zivilrechtlicher Natur und in Inhalt und Reichweite in keinem Gesetz konkret geregelt. Sie werden der Generalklausel des Schadensersatzrechts entnommen: Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um Schäden Anderer zu verhindern (§823 BGB). Besonders verkehrswichtige und gefährliche Stellen sind besonders schnell und zuverlässig zu räumen und zu streuen. Allerdings ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und wieweit eine rechtliche Verpflichtung besteht, den Gehweg, die Fahrbahnquerung bzw. die ÖPNV-Haltestelle in einem ungefährlichen Zustand zu halten.

Die Pflicht zur Schneeräumung oder zum Streuen ergibt sich auch öffentlich-rechtlich aus den meisten Landes-Straßen- und Wege-Gesetzen. Sie bestimmen in der Regel, dass die Räum- und Streupflicht der öffentlichen Wege den Gemeinden obliegt, dass diese durch eine Ortssatzung die Pflicht aber wiederum den Anliegern auferlegen können. Die Gemeinden haben in unterschiedlichstem Maß davon Gebrauch gemacht. Im unmittelbaren Haltestellenbereich kann die Pflicht neben der Gemeinde und dem Anlieger auch den ÖPNV-Betreiber treffen.

Wer eine Pflicht überträgt, muss in der Regel die Einhaltung dieser Pflicht überwachen. Die Reichweite dieser Überwachungsverantwortung ist allerdings unklar; zumindest nach Maß gabe der Verkehrsbedeutung von Gehwegen, ÖPNV-Haltestellen und Fahrbahnquerungen ist sie unterschiedlich.

In der Rechtsprechung der letzten Jahre wird dem Verkehrsteilnehmer wieder verstärkt eigenverantwortliche Aufmerksamkeit abverlangt; erkennbaren Hindernissen muss ausgewichen werden.

Die Regelungen der Ortssatzung

Die Ortssatzung macht dem Haus- und Grundbesitzer einige Vorgaben, wie er die Räum- und Streupflicht umsetzen muss: Von wann an - an Werktagen und an Sonn- und Feiertagen unterschiedlich - muss der Gehweg geräumt sein? Wie breit muss der geräumte Pfad sein? (Zivilrechtliche Regelung dazu: Auf Gehwegen mit geringem Fußverkehr, jenseits der ÖPNV-Haltestellen, reicht es der Rechtsprechung, wenn ein Streifen geräumt und gestreut wird, der für zwei Fußgänger breit genug ist.)

Eventuell gibt es weitere Festlegungen zur Qualität: Muss auch mit einem abstumpfenden Material gestreut werden? Die Verwendung von Auftausalz ist den Haus- und Grundbesitzern oft per Ortssatzung verboten.

Im unmittelbaren Haltestellenbereich trifft die Räum- und Streupflicht auch den ÖPNV-Unter nehmer und erstreckt sich i. d. R. über die Zeit des in der Ortssatzung festgelegten Winterdienstes hinaus. An diesen Stellen muss ggf. sogar unabhängig vom Streuplan wiederholt gestreut werden, meint der Bundesgerichtshof.

Viele Gerichte vermischen voreilig die Räum- und Streupflicht nach dem Straßengesetz mit der zivilrechtlichen. Gelegentlich wird dann noch die Pflicht der Gemeinde mit derjenigen verwechselt, die von ihr auf den Anlieger übertragen worden ist. Das hat dann u. U. fälschlich zur Folge, dass nach einem Blick in die Ortssatzung der Prozess beendet ist, nur weil in der Satzung den Anliegern das Räumen und Streuen erst ab 7:00 Uhr auferlegt wird, der Pendler aber schon um 6:45 Uhr an seiner - längst intensiv genutzten - Haltestelle gestürzt ist.

Oder dass in der Ortssatzung von den Anliegern nur ein schmaler freier Streifen auf dem Gehweg verlangt wird und damit die Haltestellenbereiche fast vollständig aus der Betrachtung fallen. Nicht immer ist den Gerichten dabei klar, dass die zivilrechtlich begründete Räum- und Streu pflicht der Gemeinde und der ÖPNV-Betreiber weiter reicht als die öffentlich-rechtliche Pflicht der Gemeinde und diese wiederum weiter als die Räum- und Streupflicht der Anlieger.

Ist die Pflicht im Landesgesetz oder in der Ortssatzung geregelt, haftet der Pflichtige im Falle des Unfalles wegen des Verstoßes gegen diese spezielle Schutznorm, es erübrigt sich der Rück griff auf die Generalklausel „Verkehrssicherungspflicht“. Liegt aber kein Verstoß gegen die örtliche spezielle Schutznorm vor, etwa weil sie diese konkrete Verkehrfläche oder diese Uhrzeit nicht erfasst, ist der Rückgriff auf die Generalklausel keineswegs abgeschnitten.

Was kann der Fußgänger tun?

Die Verkehrssicherungspflicht gibt dem Fußgänger erst im Schadensfall eine Handhabe und dann nur, wenn er die unfallursächliche Gefahr nicht so rechtzeitig erkennen konnte, dass er einen Unfall und etwaige Schäden abwenden konnte. Auf erkennbare Gefahren muss man sich einstellen. Ein Mitverschulden kann dem Fußgänger vorgeworfen werden, wenn er unaufmerksam war.

Das komplexe Geschehen im Haltestellenbereich begründet höhere Anforderungen sowohl an die Verkehrssicherungspflicht als auch an die eigene Vor- und Umsicht des Verkehrsteilnehmers. Kinder dürfen in gewissem Rahmen unvernünftig sein, ohne Schadensersatzansprüche zu verlieren.

Rechtliche Ansprüche an eine Qualitätssicherung gibt es nicht. Für die zivilrechtliche Verkehrspflicht gibt es keine starren Uhrzeit-Grenzen. Die Tageszeit, zu der geräumt werden muss, richtet sich nach dem Verkehrsbedürfnis. Die haftungsrechtlich relevante Verkehrszeit rund um eine Haltestelle kann erheblich von der anderer Gehwege abweichen. Zeitlich oder räumlich seltener genutzte Flächen und Wege stehen beim Winterdienst hinten an. Bei anhaltendem Schneefall oder sich ständig erneuerndem Glatteis darf man als Passant und ÖPNV-Nutzer nicht zu viel erwarten. Aber auch der Sicherungspflichtige muss Prioritäten zugunsten starker und gefährdeter Verkehre setzen.

Die Verkehrssicherungspflicht besteht unabhängig davon, ob dem Pflichtigen das konkrete Problem bekannt ist oder nicht. Bei der Einrichtung der Verkehrsanlagen hat der Pflichtige alle potenziellen Probleme zu bedenken. Die Haftung wird also nicht davon berührt, ob zuvor ein Hinweis eines Bürgers eingegangen ist. Gleich wohl ist es sinnvoll, eine Gefahrenstelle der Verwaltung mitzuteilen. Erstens hat man ein eigenes Interesse daran, dass die Gefahrenstelle beseitigt wird. Das spricht dafür, sich möglichst an die Gemeinde, an den ÖPNV-Betreiber und an den Anlieger zu wenden und auf die Gefahr hinzuweisen. Zweitens ist die Haftung wegen verletzter Verkehrssicherungspflicht eine Haftung aus Verschulden - hat man das Problem aber schon früher mitgeteilt, ist dem Pflichtigen vor Gericht jede Ausrede dahin abgeschnitten, man habe die Gefahr weder gekannt noch kennen müssen.

Aus der Sicht eines engagierten Fußgängers wäre es erfreulich, könnte man die Behörde schon zur Beseitigung der Gefahrenquelle zwingen, bevor ein Unfall passiert ist. Einen dafür nötigen Anspruch des Bürgers, der verkehrssichernde Maßnahmen erzwingen könnte, hat die Rechtsprechung jedoch nur in sehr seltenen Fällen anerkannt. Eine vorbeugende Wirkung durch Einklagbarkeit von Maßnahmen zur Verkehrssicherung besteht daher praktisch nicht.

Wichtig ist trotzdem, präventiv tätig zu werden und die Gemeinde oder den ÖPNV-Betrieb auf nicht hinnehmbare Glätte und Schneehaufen hinzuweisen. Dort gilt es die jeweiligen Ansprechpartner herauszufinden und das Problem / die Gefahr und die Erwartung an eine Abhilfe klar darzustellen, evtl. Fotos als Dokumentation des Zustands dem Ansprechpartner zu mailen. Immer ist es erforderlich, Datum (inkl. Uhrzeit), Name des Gesprächspartners und Inhalt des Gesprächs zu notieren, bei Mangel an Resonanz diese Notiz dem Ansprechpartner zuzusenden.

Damit wird nicht nur der Handlungsdruck an die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung erhöht, sondern auch die Beweislage im Schadensfall verbessert: Die Tatsache, dass der Verkehrsteilnehmer gestürzt ist, begründet für sich allein nicht den Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Streupflicht; denn die Lebenserfahrung lehrt, dass Unfälle infolge Winterglätte auch auf Wegen vorkommen, die genügend geräumt oder gestreut sind. Viele Gestürzte verlieren den Prozess, weil sie den Zustand der Unfallstelle zur Unfallzeit nicht beweisen können. Passanten als Zeugen gibt es nur selten und Fotos vom Unfallort liegen kaum jemals vor. Im Nachhinein nachzuweisen, wie genau zu der Zeit an genau dem Ort die Schnee- und Eislage war, ist oft unmöglich.

Präventive Aktivitäten sollten mit einem Blick in die Ortssatzung beginnen: Sind die Regelungen aus Sicht eines engagierten Fußgängers ausreichend? Sind qualitative Gesichtspunkte neben der Gefahrenabwehr berücksichtigt? Festgetretener Schnee, der mit Hilfe eines Salz-/ Split- Gemischs aufgeweicht wurde, ist zwar nicht mehr glatt, aber sehr mühsam zu begehen – für ältere Menschen evtl. gar nicht. Lässt die Ortssatzung den Griff zum Streusand mit Salzbeimischung zu an Stelle der – natürlich mühsameren - Benutzung des Schneeschiebers?

Die Ortssatzung ist nicht unveränderlich. Über örtliche Gemeindevertreter / Stadtverordnete lässt sich eine Änderung in Gang setzen. Parallel dazu Pressearbeit zu betreiben, hilft weiter. Und hier helfen gute Fotos aus dem letzten Winter. Diese präventiven Aktivitäten benötigen einen monatelangen Vorlauf vor dem nächsten Winter. Wichtig ist, Änderungen der Ortssatzung bekannt zu machen – nicht nur mittels der amtlichen Bekanntmachungen, sondern mit einer Medienkampagne, bei der der Nutzen der verbesserten Ortssatzung nicht zu kurz kommt: Der entspannte, bequeme und gesicherte Spaziergang durch eine verschneite Stadt auf gut geräumten Gehwegen.

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Manfred Bernard auf der Grundlage einer Expertise von Dr. Dietmar Kettler im Auftrag des FUSS e.V. ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2007, erschienen. 

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