Europaeische Fussverkehrs-Politik
Europäische Verkehrspolitik 2010-2020 - FUSS e.V. - Stellungnahme
Beteiligung an der Konsultation
KOM(2009) 279/4
MITTEILUNG DER KOMMISSION
Eine nachhaltige Zukunft für den Verkehr:
Wege zu einem integrierten, technologieorientierten und nutzerfreundlichen System
Stellungnahme
FUSS e.V.
Fachverband Fußverkehr Deutschland
vom 25. September 2009
Zur besseren Einordnung der genannten Abschnitte der Mitteilung:
Abschnitt 1: Einleitung
Abschnitt 2: Bewertung der Verkehrspolitik der letzten Jahre
Abschnitt 3: Trends und Herausforderungen bis Mitte des Jahrhunderts
Abschnitt 4: Sieben strategische Ziele für einen nachhaltigen Verkehr
Abschnitt 5: Empfehlungen über den Einsatz politischer Instrumente
- Es wird empfohlen, bereits in der Überschrift das zentrale Ziel einer sozial, ökologisch und ökonomischen Nachhaltigkeit des zukünftigen Verkehrs zu verdeutlichen. Die „Technologieorientiertheit“ ist kein Wert an sich, den es anzustreben gilt. Intelligente Technologie kann ein geeignetes Werkzeug zur Erreichung des Zieles darstellen, wobei sie nach unserer Auffassung zumindest für den Verkehr in Ballungsräumen nicht die zentrale Rolle einnimmt, um die in Abschnitt 4. genannten und bisher teilweise verfehlten Ziele zu erreichen. Auch kann die „Nutzerfreundlichkeit“ kein allgemein formuliertes Ziel sein, wenn es darum gehen soll, Verbraucherverhalten zu steuern. Genau das in sich geschlossene System für den motorisierten Individualverkehr und der Versuch, Autobenutzer/innen an jeder Stelle der Stadt eine Parkmöglichkeit zu bieten, haben zur unangemessenen und unreflektierten Nutzung des eigenen Pkw geführt.
- Es wird darum gebeten, in Abschnitt 2. neben der Luftverschmutzung, der Treibhausgasemissionen, dem Flächenverbrauch und der Verkehrssicherheit auch die Erfolge oder Misserfolge der Lärmminderung zu analysieren, um auch hier den Handlungsbedarf einschätzen zu können.
- Für nötig gehalten wird, die Herausforderung der gesundheitlichen Situation der Bevölkerung und die Problematik der Kostenexplosion im Gesundheitswesen der EU-Mitgliedsstaaten parallel zu den ökologischen Herausforderungen bereits in Abschnitt 3. aufzuführen und zu analysieren. In der Bevölkerung dürfte der Erhalt der Gesundheit eine prioritäre Rolle einnehmen, selten aber werden damit die über die Schäden durch Verkehrsunfälle hinausgehenden allgemeinen Gesundheitsschäden verbunden, die mit der Mobilität zusammenhängen (Luftverschmutzung, Lärm, Bewegungsmangel).
- In Abschnitt 4. Sollte deutlicher darauf geachtet werden, ob die Aussagen allgemein gelten oder sich in der Hauptsache auf den Nah- oder den Fernverkehr beziehen. Für eine differenzierte Ausformulierung der strategischen Ziele für die Zukunft der europäischen Verkehrspolitik müssen die Verkehre deutlicher benannt werden, um dadurch eine detailliertere Fokussierung auch auf notwendige Maßnahmen im Stadtverkehr zu ermöglichen, wo die deutliche Mehrheit der Europäer lebt. Die weitergehende Verstädterung in der beschriebenen signifikanten Größenordnung bietet auch die Chance, die Verminderung der Luftverschmutzung und Klimabelastung, die Lärmminderung und Erhöhung der Verkehrssicherheit kompakter angehen zu können.
- Als nicht zielführend wird angesehen, die Stauauflösung im Kraftfahrzeugverkehr als ein verkehrspolitisches Ziel einzuordnen, denn Stau ist lediglich ein Indikator für notwendige Maßnahmen. Neben den im Abschnitt 5. aufgezeigten gibt es ein breiteres Spektrum von Maßnahmen, z.B. Anreize zur Verlagerung auf effizientere und umweltfreundlichere Verkehrsträger, Netzintegration aller Verkehrsträger, Optimierung der Wegeketten, Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten und damit ein gleichmäßiger Verkehrsfluss, Infragestellung der grundsätzlichen Erreichbarkeit aller Zielpunkte durch den motorisierten Individualverkehr durch restriktivere Regelungen für den ruhenden Verkehr, usw.
- Es wird dringend empfohlen, die im Abschnitt 5. trotz der den Handlungsspielraum der EU einschränkenden Subsidiarität angegebenen Maßnahmen für den motorisierten Individualverkehr (Stauminderung, „grüne Korridore“, Beseitigung von Engpässen) bei allen Gruppen von Verkehrsteilnehmern zu konkretisieren. Der in Abschnitt 2. erläuterte Handlungsbedarf im Bereich der Luftreinhaltung und sicherlich auch der Lärmminderung und die damit verbundenen notwendigen Verlagerungen von Verkehrsaufkommen auf effizientere und umweltfreundlichere Verkehrsträger setzt die strategische Förderung des Umweltverbundes durch Planung und Maßnahmen voraus. Das kann geschehen z.B. durch mehr Flächen für den Fuß- und Radverkehr, die Schaffung von Wegesystemen und Wegenetzen, sichere und komfortablere Querungsstellen über Fahrbahnen mit geringeren zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, eine bessere Verknüpfung des Fußverkehrs mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, Wegeleitsysteme, usw..
- Angesichts der Herausforderungen im Bereich des Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit und auch der Umsteigebereitschaft der Bevölkerung auf effizientere und umweltschonendere Verkehrsträger wird dringend empfohlen, die seit Jahren bekannten positiven Auswirkungen von geschwindigkeitsdämpfenden Maßnahmen in die Empfehlungen der Kommission aufzunehmen. Die Analyse zeigt u.a., dass die Städte auch mit einer deutlichen Ausweitung von Tempo-30-Regelungen in dieser Hinsicht nicht recht weitergekommen sind, weil die Maßnahmen zur Senkung der Geschwindigkeiten bisher in der Regel auf das Nebenstraßennetz und häufig auf das Aufstellen von Verkehrszeichen beschränkt blieben, die Probleme aber überall in der Stadt und konzentriert in den Hauptverkehrsstraßen auftreten. Darüber hinaus sollte darauf hingewiesen werden, dass mit den erprobten und bewährten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen wie z.B. den „Verkehrsberuhigten Bereichen“ in Deutschland oder den „Begegnungszonen“ in Frankreich soziale und ökologische Nachhaltigkeit konsequenter erreicht werden können, als dies bisher geschah.
- Die in Abschnitt 5. geforderten Aufklärungs-, Informations- und Sensibilisierungskampagnen werden nicht allein die Lebensstile und damit die Verkehrsmittelwahl der Bürger verändern, sondern können das nur im Zusammenhang mit einer vernetzenden Stadt- und Regionalplanung der kurzen Wege und der Schaffung von angenehmen und lebenswerten Städten.
Internationale Charta für das Gehen
Hier finden Sie die „Internationale Charta für das Gehen - Für die Schaffung von gesunden, leistungsfähigen und nachhaltigen Städten und Dörfern, in denen Menschen gerne zu Fuß gehen“ als PDF-Download.
Entschließung zum Schutz der Fußgänger und zur Europäischen Charta der Fußgänger (1)
Das Europäische Parlament,
A. in der Erwägung, daß den Problemen der städtischen Ballungsgebiete im 4. Aktionsprogramm der EG für den Bereich der Umwelt eine wachsende Bedeutung beigemessen wird; unter Hinweis darauf, daß der Schutz des Fußgängerverkehrs wirksam zum Wohlergehen der Bürger, zur Wiederaufwertung der Ballungsgebiete und zur Erhaltung der geschichtlichen und städtebaulichen Werte sowie der Umwelt beitragen kann,
B. in der Erwägung, daß jeder einmal Fußgänger ist und der Fußgängerverkehr in Stadtgebieten einen erheblichen Anteil am Verkehrsaufkommen hat (zwischen 25 und 45%) und vor allem die schwächsten Verkehrsteilnehmer umfaßt (Kinder, ältere Menschen),
C. in der Erwägung, daß Fußgänger in jeden 3. tödlichen Verkehrsunfall verwickelt sind und daß fast die Hälfte der Todesfälle bei Kindern auf solche Unfälle zurückzuführen ist,
D. in der Erwägung, daß die zahlreichen Verkehrsunfälle zum überwiegenden Teil auf zu schnelles Fahren zurückzuführen sind,
E. in der Erwägung, daß die gesellschaftliche Ideologie ,,Priorität für den Autoverkehr auf allen Gebieten", die Stadtstruktur, den Straßenzustand und die Flut von Privatfahrzeugen die Bewegungsmöglichkeiten der Fußgänger einschränken und die schwächsten Verkehrsteilnehmer, insbesondere Behinderte und Schwerbehinderte, die einen erheblichen Teil der europ. Bevölkerung ausmachen, von der Nutzung der öffentlichen Verkehrswege ausschließen,
F. in der Erwägung, daß der wachsende Anteil von älteren Menschen an der Bevölkerung das Problem des Schutzes der Fußgänger sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht verschärfen wird,
G. in der Erwägung, daß in den Städten, vor allem in den historischen Stadtkernen und in Industriegebieten, die Fußgänger wegen der hohen Luftverschmutzung und Lärmbelastung untragbaren Fortbewegungsbedingungen ausgesetzt sind und daß die Kinder diejenigen Fußgänger sind, die den Autoabgasen, vor allem Blei, am stärksten ausgesetzt und von Gehörschäden und Schädigungen des vegetativen Nervensystems aufgrund ihrer Gestalt und ihrer physischen Anfälligkeit am stärksten bedroht sind,
H. in der Erwägung, daß die Fußgängerzonen gegenüber den Bebauungsflächen und den Autoverkehrsstraßen lediglich als Restflächen betrachtet werden,
I. in der Erwägung, daß mit Ausnahme weniger Länder Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit (Werbekampagnen, gesetzliche Maßnahmen, Erhaltung und Verbesserung der städtischen Infrastruktur) vorwiegend auf die Autofahrer ausgerichtet waren und daß in der Ausbildung und in Programmen zur Fahrschulausbildung kaum ein Verhalten gefördert wird, das den Fußgängern Rechnung trägt,
J. in der Erwägung, daß immer mehr Bevölkerungsgruppen die Umstellung auf eine menschenwürdige und umweltfreundliche Verkehrsentwicklung für dringend erforderlich halten,
1. ist der Auffassung, daß eine Politik zugunsten der Fußgänger den Angelpunkt für eine Politik darstellen muß, die darauf ausgerichtet ist, eine neue und menschlichere ,,Stadtmentalität" zu schaffen, weshalb sie zur grundlegenden Komponente der verkehrspolitischen, stadtplanerischen und baulichen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten werden muß;
2. verabschiedet zu diesem Zweck folgende Europäische Charta der Fußgänger:
I. Der Fußgänger hat das Recht, in einer gesunden Umwelt zu leben und die öffentlichen Straßen und Plätze zu angemessenen Bedingungen für die Sicherheit seiner körperlichen und seelischen Gesundheit frei zu benutzen.
II. Der Fußgänger hat das Recht, in Stadt- und Dorfzentren zu leben, die Menschen- und nicht autogerecht gestaltet sind und über Einrichtungen zu verfügen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad leicht erreichbar sind.
III. Kinder, ältere Menschen und Behinderte haben ein Anrecht darauf,daß die Stadt einen Ort der Sozialisierung darstellt und ihre ohnehin schwache Stellung nicht noch weiter untergraben wird.
IV. Behinderte haben ein Recht auf spezifische Maßnahmen, die ihnen jede nur irgendmögliche selbständige Mobilität gewähren, und zwar durch Anpassung der öffentliche Verkehrswege, verkehrstechnische Systeme und öffentliche Verkehrsmittel (Leitmarkierungen, Warnzeichen, akustische Signale, behindertengerechte Busse, Straßenbahnen und Züge).
V. Der Fußgänger hat einerseits Anrecht auf möglichst ausgedehnte städtische Zonen, die ganz auf seine Bedürfnisse abgestellt sind und nicht bloße ,,Fußgängerinseln" darstellen, sondern sich in die allgemeine Struktur der Stadt harmonisch einfügen, und andererseits hat er Anspruch auf kurze, logische und sichere Wege, die miteinander verbunden und ihm allein vorbehalten sind.
VI. Der Fußgänger hat insbesondere Anspruch auf:
a) die Einhaltung der von wissenschaftlicher Seite als tolerierbar angesehenen Normen für Abgase und Lärmentwicklung bei Kraftfahrzeugen;
b) den allg. Einsatz umweltfreundlicher und leiser Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr;
c) die Schaffung von grünen Lungen auch durch innerstädtische Aufforstung;
d) Geschwindigkeitsbegrenzungen und eine strukturelle Neueinteilung der Straßen und Kreuzungen, um Fußgänger- und Fahrradverkehr wirksam zu schützen;
e) ein Verbot der Werbung, die zu einer falschen und gefährlichen Nutzung von Kraftfahrzeugen auffordert;
f) wirksame Signalanlagen, die auch für Blinde und Gehörlose wahrnehmbar sind;
g) besondere Maßnahmen, die den Aufenthalt auf Straßen sowie deren Zugang und Benutzbarkeit sicherstellen;
h) Anpassung der Form und Ausstattung der Kraftfahrzeuge mit dem Ziel, die gefährlichsten Teile zu entschärfen und die Signalanlagen wirksamer zu gestalten;
i) Einführung eines Systems der im Verhältnis zum Risiko stehenden Haftpflicht in dem Sinne, daß derjenige, der das Risiko schafft, die finanziellen Folgen tragen muß (wie z.B. in Frankreich seit 1985);
j) Einführung einer Fahrschulausbildung, die auf ein Fahrverhalten ausgerichtet ist, daß Fußgängern / langsamen Verkehrsteilnehmern Rechnung trägt.
VII. Der Fußgänger hat ein Recht auf freie und uneingeschränkte Mobilität, die sich mit Hilfe der integrierten Nutzung von Verkehrsmitteln erreichen läßt. Er hat insbesondere Anspruch auf:
a) ein umweltfreundliches, engmaschiges öffentliches Nahverkehrssystem, das den Bedürfnissen aller Bürger, auch der Behinderten, entgegenkommen muß;
b) die Einrichtung einer Infrastruktur für Fahrräder im gesamten Stadtgebiet;
c) die Einrichtung von Parkflächen, die so angelegt sind, daß sie die Mobilität des Fußgängers und den Genuß architektonischer Werte nicht beeinträchtigen.
VIII. Jeder Staat hat die Pflicht, durch bestmögliche Mittel detaillierte Informationen über die Rechte der Fußgänger und über humane und umweltfreundliche Verkehrsalternativen zu verbreiten; dies gilt auch für die Schul- und Vorschulerziehung."
3. fordert die EG-Kommission auf, einen Europatag für die Rechte des Fußgängers durchzuführen, den Inhalt dieser Charta zu verbreiten und einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie vorzulegen;
4. fordert die Mitgliedsstaaten auf, alle erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der Charta zu treffen und die tatsächliche Anwendung der geltenden Vorschriften zum Schutz der Fußgänger, insbesondere der Gemeinschaftsrichtlinien betreffend die Schadstoffemission von Kraftfahrzeugen und das Verbot von bleihaltigem Benzin genau zu kontrollieren und Verletzungen dieser Vorschriften streng zu ahnden;
5. hält die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bei der EG-Kommission für zweckmäßig, die sich mit der Kartierung der gefährlichsten und in ihrer Funktion am stärksten beeinträchtigten Stadtgebiete befaßt und geeignete Lösungen für jeden Einzelfall erarbeitet;
6. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der EG-Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den betroffenen Organisationen zu übermitteln.
beschlossen zu Straßburg, den 12.Okt.1988
Quellennachweis
- Dok. A2-154/88