Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 83/2015

Ausgangslage

Der Radverkehr wird in Nordrhein-Westfalen dank einer rund 20 jährigen Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit mittlerweile als eine eigenständige Verkehrsart wahrgenommen. Für den Fußverkehr trifft das noch nicht zu. Dies war Anlass für die Arbeitsgemeinschaft Fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen (AGFS) eine Broschüre herauszugeben, die explizit die Bedeutung des Fußverkehrs auf kommunaler Ebene zum Thema hat. Konzeptioneller Bezugsrahmen ist ein Leitbild zur Förderung der Nahmobilität, das zeitgleich zum „Aktionsplan der Landesregierung NRW zur Förderung der Nahmobilität“ entwickelt wurde.

Die Landespolitik hat den Fuß- und den Radverkehr in der Förderrichtlinie Nahmobilität vom 19. 12. 2014 als dritte Säule der Mobilität gleichrangig neben dem öffentlichen Verkehr und dem motorisierten Individualverkehr etabliert und unterstützt die Kommunen finanziell bei der Umsetzung geeigneter Maßnahmen. Die Broschüre wurde denn auch mit Unterstützung des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW erarbeitet. Die fachliche Begleitung hatte das Planerbüro Südstadt, die Gestaltung lag bei der Kommunikationsagentur P3.

Inhalt

Das Leitbild der AGFS sieht Städte und Gemeinden als einen Lebens- und Bewegungsraum an. Dem Zufußgehen kommt darin ein zentraler Stellenwert als Basis jeder Mobilität zu. Dies erfordert aber gemäß AGFS einen eigenständigen Verkehrsraum, der barrierefrei, adäquat dimen­sioniert und attraktiv gestaltet sein muss. Dies gilt umso mehr, als das Gehen für die AGFS mehr als nur Fortbewegung ist. Es sichert auch die Teilhabe an der Gesellschaft, belebt und vernetzt die Stadt, macht Quartiere lebendig und wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus.

Als wichtigster Raum für die Basismobilität wird der „neue“ Bürgersteig angesehen, der eine neue Wertigkeit, eine adäquate Dimensionierung und eine qualitätsvolle Gestaltung erhalten soll, damit vorhandene Potenziale für das Gehen besser ausgeschöpft werden. Dies erfordert nach der AGFS auch, das heute oft noch zugelassene halbseitige Parken auf Bürgersteigen sukzessiv rückgängig zu machen. Für Fragen der Dimensionierung wird ein Bezug auf die RASt 06 empfohlen, mit der es möglich wird, zuerst die Gehwegbreite in Abhängigkeit von den Seitenraumnutzungen und dann erst die Fahrbahnbreite festzulegen (bei Straßen ohne Mittelstreifen je 30% für die beiden Seitenräume). Als Mindestbreite für einen Gehweg mit Begegnungsmöglichkeit für zwei Zufußgehende werden 1,80 m angesetzt, zuzüglich Sicherheits- und Hausabständen sind dies 2,10 bis 2,50m Breite. Es wird darauf verwiesen, dass Flächenprobleme oft zu Verkehrssicherheitsproblemen führen.

Folgende Maßnahmen sollen dazu dienen, den Anforderungen von Kindern und von Senioren gerecht zu werden: Umgestaltung von Angsträumen, sichere Querungsstellen, Vereinfachung der Verkehrsabläufe (Verzicht auf den „Grünen Pfeil“), einfache Orientierung und selbsterklärende Straßen („simply city“), spezielle Bewegungsangebote unterwegs, barrierefreie Gestaltung nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ (taktil erfassbar, optisch kontrastreich) sowie mehr Sitzgelegenheiten, Wasserspender und Toilettenanlagen.

Die Verkehrssicherheit soll nach dem Leitbild der „Vision Zero“ (Null Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr) garantiert sein. Als Maßnahme kann dies z.B. erfordern, unfallträchtige Lichtsignalanlagen durch Fußgängerüberwege zu ersetzen.

Der Förderung des Zufußgehens dient eine Netzhierarchie. Das Basisnetz soll aus zentralen Fußwegeachsen, eigenständigen Gehwegen, straßenbegleitenden Bürgersteigen bis hin zu Fußgängerzonen, verkehrsberuhigten Straßen und Shared-Space-Abschnitten aufgebaut sein. Zusätzlich zu den funktionalen Gehflächen sollen je nach lokalen Erfordernissen Flächen für das Verweilen und den Aufenthalt reserviert werden.

Die lokale Öffentlichkeitsarbeit soll neben der verkehrlichen Bedeutung verstärkt auch die soziale und gesundheitliche Bedeutung des Zufußgehens in der Kommune herausstellen. In einem eigenen Kapitel werden die gesundheitlichen Nutzen des Gehens rekapituliert und Bewegungsempfehlungen gegeben: mindestens 10.000 Schritte pro Tag bzw. an fünf Tagen in der Woche mindestens 30 Minuten zügiges Gehen täglich.

Bewertung

Die Broschüre steht in einem kohärenten Zusam­menhang mit der neuen Förderrichtlinie des Landes NRW zur Nahmobilität und des Leitbildes Nahmobilität. Für die Kommunen in NRW kann sie damit den Stellenwert einer Wegleitung einnehmen. Dementsprechend nimmt die Broschüre auch eher eine Konkretisierung des Leitbilds Nahmobilität vor, als dass sie konkrete Hinweise zur technischen Umsetzung gibt. Hierzu wird auf die einschlägigen Empfehlungen und Richtlinien verwiesen (z. B. die EFA, RIN, RASt, H BVA).

Einzelne in anderen Zusammenhängen intensiv diskutierte Themen (z. B. Shared Space) werden nur gestreift. Es werden aber einzelne Links auf begleitende Aktionen (z.B. „mehr Freiraum für Kinder“) gegeben. Die dem Text zugrunde gelegten Quellen sind nur zum Teil Fachpublikationen und werden auch nicht immer präzise referenziert. Störend ist, dass ein Teil der Fotos aus dem Ausland (USA) stammt und das Kapitel zu „Beispielen aus aller Welt“ nicht gut zum Kontext passt. Die gegebenen Empfehlungen sind für Fachleute nicht ganz neu. Die Stärke der Broschüre liegt eher darin, ein gut brauchbares Argumentarium für die verkehrspolitische Diskussion auf der Ebene der Kommunen bereitzustellen, notwendige Leitlinien der Fußverkehrsförderung klar zu benennen und das Bewusstsein für den Stellenwert des Zufußgehens als dritte Säule der Mobilität zu schärfen.

Titel:

Fortschritt – Ein Plädoyer für den Fußverkehr

Verfasser:

Wührl, Benjamin; Dierl; Julia & Linder, Franz

Bezug:

kostenlos bei AGFS, Konrad-Adenauer-Platz 17, 47803 Krefeld; Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.; www.agfs-nrw.de

 

Impressum:

Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr erscheint als Beilage von mobilogisch! alle drei Monate.

Autor: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland. FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland Exerzierstr. 20 13 357 Berlin Tel. 030/492 74 73 Fax 030/492 79 72 Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. Internet: www.fuss-eV.de

 

Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.