Andreas Marquard spricht auf der FUSS e.V.-itgliederversammlung 2023
Andreas Marquard bei der Mitgliederversammlung 2023

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zunächst darf ich mich ganz herzlich für die Einladung zu Ihrer Mitgliederversammlung bedanken. Dieser Einladung bin ich gerne gefolgt, da die hier versammelte Fachexpertise entscheidend zum Gelingen des Projekts einer nationalen Fußverkehrsstrategie beitragen kann.

Ich bin gebeten worden, in Kürze über den Sachstand des Projekts zu berichten:

Der Koalitionsvertrag formuliert die Aufgabe, den Fußverkehr in der laufenden Legislaturperiode strukturell zu unterstützen und mit einer nationalen Strategie zu unterlegen.

Das BMDV entwickelt hierzu im laufenden Jahr 2023 unter Einbindung von Expertinnen und Experten, maßgeblichen Stakeholdern sowie unter Beteiligung der Bundesländer eine nationale Fußverkehrsstrategie.

Ziel ist es, die Verkehrsverhältnisse für zu Fuß Gehende in Deutschland zu verbessern indem die Sicherheit und Attraktivität des Fußverkehrs als Teil einer modernen Mobilität gestärkt wird.

Der Stellenwert des Fußverkehrs soll neu vermessen und Ländern und Kommunen soll Orientierungshilfe bei der fußgängergerechten Gestaltung ihrer Verkehrssysteme gegeben werden.

Damit wird der Bund einen koordinierenden Beitrag leisten und zwar auf der rahmengebenden gesetzlichen Ebene, im Bereich der investiven und nicht-investiven Förderung sowie mittels organisatorischer und vernetzender Aktivitäten.
Im Kern geht es hier darum, die Interessen der Fußverkehrsteilnehmer angemessen zu berücksichtigen und neben der Verkehrssicherheit die Aspekte Umwelt-, Lärm- und Gesundheitsschutz sowie gesellschaftliche Teilhabe einzubeziehen. Der Bund nimmt im Rahmen seiner Möglichkeiten die Aufgabe wahr, Länder und Kommunen bei der weiteren Stärkung des Fußverkehrs auf insgesamt fünf Handlungsfeldern konkret zu unterstützen.

 

Zu den Handlungsfeldern im Einzelnen:

1. 1. Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

- Die Rolle des Fußverkehrs als tragendes Element der Alltagsmobilität soll gestärkt werden. Die Nationale Fußverkehrsstrategie stellt die Weichen für die Modernisierung des Rechtsrahmens, und zeigt die notwendigen Ressourcen und Strukturen für Länder und Kommunen auf.

2. Gesetzliche Rahmenbedingungen
- Der Bund ermöglicht eine Förderung des Fußverkehrs mit dem Ziel, den Kommunen die Flexibilität zu verschaffen, die sie zur Förderung des Fußverkehrs benötigen.

3. Qualität der Infrastruktur, Verkehrssicherheit
- Eine einladende und für alle verständliche Infrastruktur ist entscheidend für sicheren und qualitativ hochwertigen Fußverkehr. Diese Infrastruktur muss auf einem hohen Niveau instandgehalten sowie bestehende Defizite u.a. Lücken im Fußverkehrsnetz geschlossen werden.
Besonders im Fußverkehr ist das Leitbild Vision Zero wichtig.

4. Bewusstseinsbildung
- Indem ein Kulturwandel in der Wahrnehmung des Fußverkehrs als eigenständige Verkehrsart stattfindet und Rücksichtnahme im Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmern und die besonderen Aufmerksamkeit für schutzbedürftige Personen im Verkehr gefördert wird, werden Gefahrensituationen reduziert. Bund, Länder und Kommunen fördern ein faires Miteinander im Verkehr auch durch Kampagnen.

5. Fußverkehr und Wirtschaft
- Neben der Verkehrssicherheit, den positiven Effekten auf die Gesundheit und der sozialen Teilhabe sind auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft ein Handlungsfeld für die Fußverkehrsstrategie.
Die Städte sollen als wirtschaftliche, kulturelle und kommunikative Zentren des Austauschs und des Miteinanders wieder lebendiger und attraktiver werden. Wenn die Gesamtqualität eines Standorts betrachtet wird, deutet vieles darauf hin, dass Erreichbarkeit, Attraktivität und erhöhte Aufenthaltsqualität sowie das gegenseitige Profitieren von einem gemeinsam angezogenen Publikum (shared Business) dem lokalen Einzelhandel in den Stadtteilzentren und Innenstädten zugutekommen wird.

Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland gerne gewandert wird, ist der Fußverkehr so zu gestalten, dass er gerade in strukturschwachen Regionen als Teil der regionalen Wirtschaftsförderung seinen Beitrag leisten kann. Der Bund schafft im Rahmen des Mobilitätsforums Bund als bundesweite Koordinierungsstelle Strukturen, innerhalb deren Wissensaustausch ermöglicht wird und Länder und Kommunen Ansprechpartner zur Unterstützung benannt werden.

 

Der Entwurf der Fußverkehrsstrategie listet diese fünf Handlungsfelder in relativ knapper Form auf, ohne bereits zu sehr ins Detail zu gehen.

Gelingt es, innerhalb der Bundesregierung sowie mit den Ländern, Kommunen und Verbänden insoweit einen Konsens zu erzielen, kann in einem folgenden Schritt damit begonnen werden, konkrete Maßnahmen zur Ausfüllung der Handlungsfelder zu formulieren und so die Strategie mit Leben zu füllen. Dies erfordert einen intensiven Dialog mit allen Beteiligten.

 

Wie sind nun die Chancen, dass eine nationale Fußverkehrsstrategie zu einem zukunftsfähigen Wandel des Verkehrs beiträgt?

Aber ist diese Frage nicht eigentlich unrealistisch?

Die Erfolgsgeschichte des Autos lehrt: Ein politisches Programm und übergeordnetes Narrativ standen Pate für eine konsequente Implementierung von verkehrsrechtlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür, dass der “Traum vom privaten Auto“ wahr wurde. Man denke nur an Slogans wie “Freie Fahrt für freie Bürger“ oder das Idealbild einer autogerechten Stadt in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Nach Auffassung des Berliner Sozialwissenschaftlers und Mobilitätsforschers Weert Canzler ist es erforderlich, dass auf dem gleichen Weg und mit der gleichen Konsequenz das neue Ziel des Mobilitätswandels mit den Elementen Intermodalität, Stärkung des Öffentlichen Verkehrs sowie der Renaissance von Fuß- und Radverkehr verfolgt wird.

Und in diesem Zusammenhang stellt Canzler apodiktisch fest, dass genau das nicht passiert. Auch gibt es nach seiner Auffassung (noch) kein neues wirkmächtiges Narrativ. Gleichzeitig ist nach seiner Auffassung offen, wer den Verkehrswandel vorantreibt.
Die Gretchenfrage lautet: Was könnte man tun, um zum Beispiel die Rechtsordnung im Verkehr zu ändern, ohne damit die allseits geschätzten Routinen und Sicherheiten aufzugeben? Hier wirken die Slogans der Vergangenheit noch stark und sind in weiten Bevölkerungskreisen zumindest unterschwellig nach wie vor anerkannt.

Eine Lösung des Rechtsproblems könnte darin bestehen, Veränderungen probeweise und örtlich sowie zeitlich begrenzt in „Experimentierräumen“ zu versuchen. Man hätte dann im Falle des Scheiterns die Möglichkeit, wieder an den Ausgangspunkt zurückzukommen. Eine Kultur des Experimentierens könnte sich etablieren.

Nicht weniger kompliziert ist die Entwicklung eines neuen Narrativs und hier rechne ich auf Ihre weitere Unterstützung.

Dabei ist es unabdingbar, dass wir die Bevölkerung dauerhaft für diesen Mobilitätswandel gewinnen. Fahrverbote und höhere Preise für individuelle Mobilität wollen die Menschen mehrheitlich nicht. Viele Menschen hängen an ihrem Auto.

Also muss man von der Gesellschaft her denken. Fußverkehr wird sich durchsetzen, wenn es hierfür attraktive Angebote gibt. Gute und einfache Angebote sind überzeugend und bringen die Menschen auf unsere Seite. Verbote hingegen sind nur solange attraktiv, wie sie einen nicht selbst treffen. Verkehrswandel gegen die Menschen wird nicht erfolgreich sein. Wir sollten uns bei allen Widerständen bewusst machen:

Mit dem Kopf durch die Wand schadet nur dem Kopf.

Sie zeigen mit Ihren praktischen Initiativen, zum Beispiel mit Schritten zur Einführung einer kommunalen Fußverkehrsstrategie oder Ihren Wegen zur fußverkehrsfreundlichen Stadt den richtigen Weg auf.

Gehen wir gemeinsam weiter!

 

Andreas Marquardt
Bundesministerium für Digitales und Verkehr

 

Zum Bericht über die 22. FUSS e.V. MitgliederversammlungFishbowl mit Andreas Marquard und Mitgliedern