Im Prinzip eignen sich die alltäglichen Wege in der Stadt hervorragend für die Präventionen von Krankheiten, die vermeidbar sind und deren Behandlung jährlich in die Milliarden gehen. Viele dieser täglich zurückgelegten Strecken sind keinen Kilometer lang, werden aber trotz der Kürze häufig mit dem Auto zurückgelegt.

Die eingeschliffene, automatisierte Benutzung des Automobils ist schwer zu durchbrechen. Der Zeitaufwand für die Wege zu Fuß wird überschätzt. Zuweilen hat man auch den Eindruck, dem Weg zu Fuß hafte immer noch das Image der Arme-Leute-Mobilität an.

Noch vor 20 Jahren hatte das Fahrrad ein vergleichbar schlechtes Image. Erst durch die sportliche Komponente ist es auch als normales Fortbewegungsmittel in der Stadt gesellschaftlich akzeptiert. Möglicherweise ist das "Walken" das erste Anzeichen dafür, dass eines Tages auch das Alltagsgehen anerkannt wird.

Gegen das Gehen als täglich leicht machbare Kombination von Prävention und Mobilität wird zuweilen eingewandt, dass Abgase und Unfallgefahren den Nutzen für die Gesundheit mindern oder gar ins Gegenteil verkehren. Nun bedeutet Gehen in der Stadt nicht unweigerlich, an Staus entlang zu hasten, sich todesmutig zwischen Kolonnen rasender Autos einen Weg zum Überqueren einer Fahrbahn erkämpfen oder über die Stoßstangen geparkter Autos steigen zu müssen.

Diejenigen, die dergestalt den Teufel an die Wand malen, immunisieren sich scheinbar gegen all diese Widrigkeiten durch regelmäßige Benutzung des Automobils. Sie vergrößern mit ihrem Verhalten Probleme, die sich in der negativen Umweltbilanz und in volkswirt-schaftlichen Schäden durch Bewegungsmangel niederschlagen. Millionen von Müttern mit ihren "Mamataxis" vermitteln nachfolgenden Generationen diesen Lebensstil.

Die Krankenkassen wissen sehr wohl um den Bewegungsmangel als Ursache von Krankheiten, Entwicklungs- und Lernstörungen bei Kindern. Zu diesem Thema gibt vielerlei Empfehlungen. Ein Beispiel dafür ist die Broschüre "Bewegte Grundschule". In diesem schön gestalteten Buch wird neben "Spiel und Spaß mit Steinen" und "Rollerfahren" auch "Anders Sitzen" empfohlen. Es fällt auf, dass sich alle Vorschläge auf den mehr oder weniger geschlossenen Raum, auf Turnhalle, Pausenhof und Kinderzimmer beziehen. Bei allem Lob für den guten Ansatz - die 95 Seiten bieten keinen einzigen Hinweis auf den Schulweg als möglichen Lernort für räumliches Begreifen, Geschicklichkeitsübungen und soziales Verhalten.

Die Bemühungen um Spielmöglichkeiten im öffentlichen Raum und Bewegungsfreiheit auf den Schulwegen gehen im allgemeinen von Vereinen und Initiativen aus. In Bremen kundschaftet beispielsweise der Verein "Spiellandschaft Stadt" weitere Spielmöglichkeiten aus. Der Verein FUSS e.V. hat eine bundesweite Schulwegekampagne gestartet; diese wurde allerdings vom Umweltministerium finanziert und u.a. vom Gesundheitsministerium mit getragen. Teil dieser Kampagne ist ein Faltblatt, das auf die Vorteile des Schulweges zu Fuß verweist und zielgruppenorientiert einerseits Kinder, andererseits Eltern anspricht. Dieses zum Gehen animierende Faltblatt wurde an Grundschulen in der ganzen Bundesrepublik verschickt und tausendfach nachbestellt.

In England ist man - was die Bewegungs-förderung im öffentlichen Raum betrifft - einen großen Schritt weiter. Aktionen zur Ermunterung und Erleichterung des Gehens werden direkt von den Ministerien gestartet. "Walk in to work out" ist der Titel eines Faltblattes, das im letzten Jahr vom Department of Health (DH) im Verbund mit dem Department for Transport, Local Government and the Regions (DTLR) herausgegeben wurde. Ziel dabei war und ist, möglichst viele Bevölkerungsgruppen zu animieren, einen Teil ihrer täglichen Wege zu Fuß zurückzulegen.

Die Förderung des Fußverkehrs ist Teil der englischen Verkehrspolitik. Eine "Strategy for Walking" ist stets im "Local Transport Plan" enthalten, den jede Gemeinde seit neuestem aufstellen muß. Dahinter steht das Ziel der Regierung, durch Umstrukturierung im Verkehrs- und Gesundheitsbereich letztlich Krankheits- ,Sozial- und Verkehrskosten einzusparen und auf gesundheitsschädliche Gewohnheiten einzuwirken; zu diesen gehört auch die alltägliche, nicht hinterfragte Autobenutzung. Letztendlich verursacht der Autoverkehr zusätzlich eine Minderung der Lebensqualität insbesondere für Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status; unverhältnismäßig viele von ihnen wohnen an den Hauptverkehrsachsen. Bei der Lösung dieses Problems wird der engen Kooperation von Gemeindeverwaltungen und Gesundheitsbehörden grundlegende Bedeutung beigemessen.

In Dänemark werden Maßnahmen ergriffen, die sich positiv sowohl auf die Gesundheit als auch auf den Arbeitsmarkt auswirken. Hier werden gesundheitsschädigende Produkte hoch besteuert, mit dem Effekt, dass sie weniger nachgefragt werden. Dazu gehören Energie, CO2, Schwefeldioxid, Lösemittel und Pestizide. Das Steueraufkommen wird verwendet, um Krankenkassenbeiträge mit zu finanzieren. Die Lohnnebenkosten sind niedriger, die Arbeitskraft ist billiger, und wird häufiger nachgefragt.

Durch Minderung des Kfz-Verkehrs, ein Mitverursacher von CO2 und Schwefeldioxid wären auch in Deutschland Kostensenkungen im Gesundheitsbereich möglich. Das Umwelt- und Prognose-Institut in Heidelberg hat errechnet, dass sich durch den Kfz-Verkehr volkswirtschaftliche Kosten für Gesundheits-schäden in der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 60 Milliarden DM im Jahr ergeben. Die Kosten für die gesundheitlichen Folgen durch verkehrsbedingten Bewegungsmangel sind darin nicht enthalten, wohl aber Emissionsschäden, Lärmschäden und Straßenverkehrsunfälle.

Was ist zu tun?

Frau Dr. Annelie Keil, Professorin an der Universität Bremen und Leiterin des Fachbereiches Human- und Gesundheitswissenschaften schlägt vor, die Besteuerung auf Alkohol und Tabak um 6 % zu erhöhen, und dieses zusätzliche Steueraufkommen in Prävention zu investieren. Warum nicht auch in Fußwegenetze und glatte Bürgersteige?

Es ist zu wünschen, dass sich das Gesundheitswesen stärker auf die "Salutogenese" konzentriert, also in die Vorbeugung. Eine Kooperation z.B. mit dem Umweltministerium ist in diesem Zusammenhang überfällig.

Voraussetzung für die Förderung des Alltagsgehens ist - neben der Förderung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs für weitere Strecken -, in der Stadt durchgehende Wegenetze herzustellen, möglichst außerhalb der Verkehrsströme und Querungshilfen überall dort, wo Fußgänger über die Straße gehen wollen. Wichtig ist auch, stärker auf die Qualität und Ausstattung der Wege zu achten, zumindest auf die 4 Bs: Belag, Beleuchtung, Breite und Bänke. Das platzraubende und der Bequemlichkeit Vorschub leistende Parken auf Gehwegen sollte grundsätzlich verboten werden.

Ein herzkranker Patient, der von seinem Arzt einen täglichen Spaziergang verordnet bekommt, sollte schließlich Gelegenheit haben, diesen auch durchzuführen, ohne vorher in sein Auto steigen zu müssen.

Verfasserin: Angelika Schlansky, Juli 2003, Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.ese E-Mail-Adresse ist gegen Spam-Bots geschützt, Sie müssen Javascript aktivieren, damit Sie es sehen können