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Die am 28. April endlich in Kraft getretene Novelle der Straßenverkehrsordnung hat für den Fußverkehr ein gemischtes Ergebnis: Schützende Geldbußen sind deutlich erhöht, Störungen durch E-Roller und Fahrräder bleiben aber.

Ein Abstimmungs-Marathon mit 56 Einzelvoten zur StVO durchlief der Bundesrat am 14. Februar 2020. Das ist Folge zahlreicher Änderungswünsche, die die Verkehrs-, Innen- und Umweltminister der Länder an Minister Scheuers ursprünglichem Entwurf hatten. Die wichtigsten Ergebnisse:

 

Bußgeld für Gehweg-Missbrauch

Das Bußgeld für das illegale Befahren von Gehwegen steigt – und zwar für alle Fahrzeuge mit zwei oder mehr Rädern, mit und ohne Motor. Die Staffelung ist wie beim Falschparken: 55 Euro als Grundtarif, 70 für Behindern, 80 für Gefährden und 100 für Sachbeschädigung.

Dies begrüßt FUSS e.V. und hofft, dass es dem zunehmenden Missbrauch von Gehwegen entgegen wirkt. Hier sind die Ordnungsbehörden noch stärker gefordert als beim Falschparken da das Anhalten und Identifizieren von Gehweg-Schwarzfahrern Einzelnen kaum möglich und zumutbar ist. Auf mittlere Sicht sind auch hier weitere Erhöhungen fällig. In Frankreich kostet solcher Gehweg-Missbrauch 135 Euro.

 

Bußgeld fürs Falschparken

Auch die Bußgelder für das Falschparken auf Geh- und Radwegen, auf Rad-Schutzstreifen und Behindertenparkplätzen steigen deutlich. Sie betragen jetzt 55 Euro im einfachen Fall, 70 Euro bei Parken länger als eine Stunde mit Behinderung und 80 Euro bei Gefährdung anderer, bei Sachbeschädigung sind es 100 Euro. Bei allen Bußen ab 60 Euro gibt es zudem einen Punkt im Flensburger Zentralregister.

FUSS e.V. begrüßt auch diese längst überfällige Änderung, mit der Deutschland sich europäischen Standards ein Stück weit annähert. Unser Kampagnenziel hieß „100 Euro für Falschparken“, hierfür setzen wir uns weiter ein. So wichtig wie die Höhe der Bußen sind Sanktionen in der Praxis. Hierzu sind die Städte und Gemeinden jetzt aufgefordert. Bei den bisherigen Mini-Gebühren war die Sanktionierung teils ein Zuschussgeschäft für die kommunalen Kassen; das sollte sich jetzt geändert haben. Auch sollten wir alle uns nicht scheuen, lästige Verstöße selbst anzuzeigen, was mit Smartphone-Apps wie Wegeheld und Weg_li nur wenig Aufwand macht.

 

Seitenabstand beim Überholen

 Der für überholende Kraftfahrzeuge jetzt verpflichtende Seitenabstand gilt nicht nur gegenüber Fahrädern, sondern auch gegenüber Fußgängern und E-Rollern: 1,5 Meter innerorts, 2 Meter außerorts.

Der Gedanke ist gut und wichtig, die Ausführung hat drei Mängel: der Abstand ist schwer messbar. Wo nicht viel Platz ist, sehen Autofahrer die Regel als unnötige Schikane und halten sie nicht ein. Drittens glaube viele, es gelte nur für das Überholen auf gleicher Verkehrsfläche, und neben sehr schmalen Gehwegen dürfen Kraftfahrzeuge weiterhin in hohem Tempo Fußgänger eng passieren. Dass dem nicht so ist, erläutert ein Gutachten für den Radverkehr, dessen Grundgedanken sich auf den Fußverkehr übertragen lassen.

 

Erweitertes Parkverbot vor Rad-Kreuzungen

Neben baulich abgetrennten Radwegen darf acht Meter vor der Kreuzung nicht mehr geparkt werden. So sollen Abbieger Radfahrer eher erkennen. Bedauerlich ist, dass dies nicht für alle Kreuzungen mit Fußverkehr beschlossen wurde. Vor allem die Zunahme von optisch sperrigen SUVs und Lieferfahrzeugen erschwert es Fahrern und Fußgängern, einander rechtzeitig wahrzunehmen. Die größten Probleme haben Kinder, die z.T. nicht einmal über die Motorhaube geparkter SUVs schauen können.

 

Fahrverbot für Raser

Dringend nötig ist das Fahrverbot, das innerorts jetzt bei Tempolimit-Überschreitungen ab 21 Stundenkilometer verhängt werden kann. Auch hierfür sind aber die Bußen im internationalen Vergleich noch extrem niedrig.

 

Höhere Buße für Poser

Für Autoposer wird es hoffentlich teurer „unnötiges“ Herumfahren soll bis zu 100 Euro kosten. Deutlich besser wäre aus unserer Sicht, weit mehr Fahrten könnten als „unnötig“ qualifiziert werden.

 

LKWs: Langsam abbiegen!

Eine Einzelverbesserung: Rechtsabbiegende LKW dürfen bei möglichem Fuß- und Radverkehr nur noch  Schrittgeschwindigkeit fahren - nach der Rechtsprechung 4 bis 7 Stundenkilometer, maximal 10 (OLG Frankfurt/M., Urteil vom 19. Oktober 2017 – 22 U 124/15). Das soll vor allem geradeaus fahrende Radfahrer schützen.

Dies sehen wir als Einstieg in eine weiter gehende Regelung: Abbiegen für alle Fahrzeuge dort, wo Fußgänger kreuzen können, nur noch mit Schritttempo. Kreuzungen und Einmündungen sind die gefährlichsten Orte für uns. Die verharmlosend als „Übersehen“ bezeichnete Missachtung von Fußgängern kann nur durch langsameres Fahren ausgeschlossen werden.

 

Grünpfeil für Radfahrer

Einen Rückschritt für Fußgänger bringt die Novelle an manchen Ampeln: Radfahrer erhalten einen eigenen Grünpfeil zum Rechtsabbiegen bei Rot.

Sehr verwunderlich ist an dieser Neuregelung, dass zum Grünpfeil ein Verkehrsversuch der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) noch läuft, die Novelle aber beschlossen wurde, ohne auf das Ergebnis zu warten. Nach aller Erfahrung mit dem schon bestehenden Grünpfeil für alle Fahrzeuge missachten 75  Prozent der Nutzer das Gebot,  vor Ampel-Überwegen bei Fahrzeug-Rot anzuhalten. Die Überwege werden damit noch unsicherer. Das Tabu „Rot heißt halten“ wird erneut durchlöchert. Wenn es aber nunmehr für Fahrzeuge mit und ohne Motor Ausnahmen davon gibt, kann es sie auch für Fußgänger geben: Wo sich kein Fahrzeug nähert, kann auch bei Rot gequert werden.

Der Pfeil ist für Radfahrer im Übrigen überflüssig: Ohne ihn kann man einfach vor der Ampel absteigen, mit dem Rad legal wenige Meter über den  Gehweg laufen und wieder aufsteigen.

 

Leider gescheitert

Für uns wichtige Initiativen aus Berlin, Bremen und anderen Ländern fanden im Bundesratsplenum keine Mehrheit:

Versuche für Tempolimits sind gescheitert. Es bleibt bei Regeltempo 50 innerorts und der Nicht-Regelung für Autobahnen. Tempo 30 kann weiterhin nur in engen Grenzen angeordnet werden.

E-Roller und Fahrräder zum kommerziellen Verleih dürfen weiterhin auf Gehwegen abgestellt werden, ohne dass diese private Nutzung öffentlichen Raums genehmigt werden muss oder die Städte eine Gebühr kassieren können.

Die Gebühren für Anwohnerparken bleiben beim Mini-Satz von höchstens 30,70 Euro pro Jahr.

 

Zum Glück gescheitert

Zwei schlechte Ideen des Verkehrsministers setzten sich nicht durch:

Scheuer wollte das Fahrrad-Parken am Fahrbahnrand zu verbieten und es nur noch auf Gehwegen zuzulassen.

Busspuren sollten für PKW mit mehreren Insassen freigegeben werden können.

 

Verkehrsrecht auf die Füße stellen!

Insgesamt gilt für das Straßenverkehrsrecht: Nach der kleinen Novelle ist vor der großen Reform. Ihr Grundprinzip besteht weiter, nach dem schneller Fahrverkehr den Straßenraum dominieren sollen und Fußgänger nur Randfiguren sind, die den Fahrverkehr möglichst wenig stören sollen. FUSS e.V. arbeitet derzeit an einem Vorschlagspaket, mit dem dieses Prinzip umgedreht und das Verkehrsrecht auf die Füße gestellt werden soll.